Feen im Märchen
Feen sind in der indoeuropäischen Erzähltradition übernatürliche weibliche Wesen, die ins Schicksal der Menschen eingreifen. Der Name leitet sich von lateinisch fatua (Wahrsagerin) bzw. fatum (Schicksal) ab. Hieraus entstand das französische Fée. Das entsprechende englische Wort fairy in Verbindung mit tale (Erzählung), also Fairy tales, wird im Englischen nahezu synonym zum deutschen Märchen gebraucht. Im engeren Sinn bezeichnet es die Zaubermärchen (siehe Aarne-Thompson-Index), auch wenn als Wesen mit übernatürlichen Fähigkeiten nicht ausschließlich Feen auftreten.
Französische Feenmärchen
Im französischen Märchen sind Feen die wichtigsten magischen Gestalten. In Märchensammlungen wie denen von Marie-Catherine d’Aulnoy und Charles Perrault wurden sie üppig ausgeschmückt und dem Zeitgeschmack angepasst. Die Bezeichnung Contes de Fées wurde allgemein für Märchen üblich. Im deutschen Märchen nehmen eher mütterliche Gestalten wie Frau Holle die Position der Feen ein (vgl. Frau Holle und Les Fées), während sich die »Feenlastigkeit« der französischen Märchen in dem in Deutschland gängigen Begriff »französische Feenmärchen« niedergeschlagen hat.
Weise Frauen in der Mythologie
In den Typus der Fee(n) sind neben der zentralen Vorstellung von der Verkörperung des Schicksals mehrere Mythen und Legenden unterschiedlicher Herkunft eingeflossen, insbesondere die Verehrung von Elementargeistern und weisen Frauen (slawisch, keltisch) sowie Fruchtbarkeitskulte. Die Vorstellung von drei Feen als Schicksalsgöttinnen verbindet die griechischen Moiren und die römischen Parzen (Schicksal) mit den germanischen und keltischen Matronen (Muttergottheiten). Diese Verbindung spiegelt sich auch in dem in vielen Märchen auftretenden Motiv der Fee als Patin wieder (siehe zum Beispiel Dornröschen). In diesem Kontext treten Feen meist in Gruppen auf, wobei die Dreiergruppe am dichtesten am mythologischen Vorbild (drei Parzen) ist.
Feen in Sagen und Legenden
Von diesen Gruppen sind die einzeln auftretenden Feen zu unterscheiden. Diese leben als schöne, oft auch dämonische Wesen, in Quellen, Wäldern und Grotten oder aber in fernen, unerreichbaren Feenreichen, deren berühmtestes Avalon ist. Sie helfen den Menschen, erfüllen Wünsche und halten ihre schützende Hand über die Häuser der Ehrbaren und Fleißigen. Die Undankbaren, Faulen und Habgierigen dagegen bestrafen sie (Frau Holle, Les Fées).
Bei diesen Feengestalten, die erstmals in der Literatur des Mittelalters auftreten, ist eine fließender Übergang zu bzw. eine Verschmelzung mit anderen zauberkundigen Wesen zu beobachten, etwa den (auch männlichen) Elfen (siehe Die Geschenke des kleinen Volkes), Zauberern beiderlei Geschlechts und mit ambivalentem Charakter (z.B. Der blaue Vogel, wo neben einer Fee der (gute) Zauberer Merlin auftritt) und sogar ausgesprochen bösen übernatürlichen Wesen wie den Hexen (siehe Rapunzel / Petrosinella). In der altfranzösischen Literatur wird das Feenmotiv mit der Artussage verbunden. Von dort aus findet es auch in die mittelhochdeutsche Epik Eingang, siehe etwa die Legende von der schönen Melusine.
Degradierung von Feen im Märchen
Die Melusine ist außerdem ein typisches Beispiel für das Motiv der fragilen bzw. in späteren Ausprägungen tragischen Liebe zwischen einem Sterblichen und einem Wesen aus der »anderen Welt«. Im Zuge der Verbreitung und Veränderung dieses Motivs ist eine »Degradierung« der Fee zu beobachten. Aus der überlegenen, starken und unabhängigen Frau ohne Alter wird mehr und mehr ein mädchenhaftes oder sogar puppenhaftes Wesen, das sich aus Liebe in Abhängigkeit verstrickt und verliert.
Den Höhepunkt fand diese Entwicklung in der Romantik (siehe etwa Foquets Undine). Die Autoren der Romantik setzten die Figur der Fee aber auch gern satirisch ein, so z.B. E.T.A. Hoffmann in Klein Zaches, genannt Zinnober, wo eine in ein Stift abgeschobene Fee durch ihre Zauberkünste allerlei Verwirrung stiftet. Oder sie verwenden das Zauberreich der Feen als Gegenentwurf zu einer als Bedrohung empfundenen Moderne, die neben all ihrer Rationalität und Fortschrittseuphorie für Phantasie, Kreativität und Individualität wenig Raum lässt (z.B. E.T.A. Hoffmann, Der goldne Topf).
Später, etwa in den Märchen von Hans Christian Andersen (Die kleine Seejungfrau, Däumelinchen) wurden die Feen sowohl in ihrer Tragik als auch in ihrer Größe und Stärke geschrumpft. Diese Verniedlichungen zeigt sich auch in den typischen Märchenillustrationen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts (siehe die Illustration von John Bauer). Als starke Frauen treten die Feen erst wieder in modernen Märchen und fantastischen Erzählungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf.