Hexen im Volksglauben und im Märchen

Hexen sind im Volksglauben Frauen mit magischen Kräften, die angeblich im Dienst von Dämonen oder Teufeln stehen. Ihre Zauberkünste bringen den Menschen auf vielerlei Weise Schaden und Verderben. Zum Beispiel wird ihnen die Schuld für Missernten und Naturkatastrophen gegeben. Auch stünde es in ihrer Macht, Mensch und Vieh mit Krankheit oder Tod zu schlagen und Menschen in Tiere zu verwandeln. Die Ursprünge des europäischen Hexenglaubens liegen in vorchristlicher Zeit. Doch erst mit dem Vordringen des Christentums entstand das Bild der Hexe als einem mit dem Teufel im Bund stehenden Weib.

Illustration von Arthur Rackham zu dem Märchen Hänsel und Gretel
Eine der bekanntesten Hexen im Märchen. Illustration zu Hänsel und Gretel (Arthur Rackham)

Der Begriff wurde auch auf die Bezeichnung von zauberkundigen Männern ausgedehnt, die dann Hexer oder auch Hexenmeister genannt werden. Im Märchen heißen solche Figuren allerdings häufiger »böser Zauberer«, falls der Aspekt der magischen Kräfte im Vordergrund steht. Wenn betont werden soll, dass es sich um eine Figur mit bösen Absichten handelt, ist eher vom »Unhold« die Rede. (Wie übrigens die Hexe manchmal auch Unholdin heißt.)

Umgangssprachlich wird das Wort Hexe als Schimpfwort für eine zänkische Frau gebraucht. Teilweise spielt auch der Aspekt der Altersdiskriminierung (alte Hexe) sowie die Abwertung von nicht als »schön« geltenden Frauen eine Rolle.

Zum Bild der Hexe in der Literatur

Die Vorstellung von der Hexe als boshaftem, abstoßendem Wesen spiegelt sich in ihrem Äußeren. Speziell in den Grimm’schen Märchen, vor allem in Hänsel und Gretel, hat die Hexe ihre heute noch populäre Gestalt bekommen. (Die erste Illustration der Märchenhexe stammt von Ludwig Grimm, dem jüngeren Bruder von Jacob und Wilhelm.) Die Bilder zeigen eine alte, bucklige Frau mit großer, krummer Nase, gischtigen Händen, triefenden Augen usw. Begleiter der Hexe sind bestimmte Tiere, die selbst in zwielichtigem Ruf stehen. Die wichtigsten sind Katzen (meist schwarze), Raben, Eulen und Kröten. Auch Hunde treten manchmal als Begleiter der Hexe auf, vor allem kleinere Rassen wie Spitz oder Pudel. Letzterer steht (vor allem, wenn er schwarz ist) dem Aberglauben nach mit dem Teufel im Bund.

Ein häufiges Accessoire ist der Hexenbesen, auf dem die Hexe angeblich durch die Luft fliegen kann. Um fliegen zu können, reibt sich Hexe außerdem mit einer speziellen Hexensalbe ein. Unter Verwendung von allerlei Kräutern und zweifelhaften Ingredienzen stellt sie diese Salbe in ihrem Hexenkessel her.

Seltener wird die Hexe als verführerische Frau (rote, offene Haare, unvollständig bekleidet) dargestellt. In der neueren Kinder-, Jugend- und Fantasy-Literatur ist die Hexe längst rehabilitiert. Vielmehr bietet sie eine Identifikationsfigur für eigensinnige, nach Unabhängigkeit strebende Mädchen und Frauen. Die kleine Hexe in Otfried Preußlers gleichnamigem Kinderbuch beispielsweise will unbedingt eine gute Hexe zu werden. Doch sie bedenkt in ihrem Eifer nicht, dass in der Welt der Hexen »gut« eigentlich »böse« bedeutet. Nach Aufklärung ihres Irrtums steht sie konsequent zu ihrer eigenen moralischen Überzeugung. Die aus der gleichnamigen Hörspielreihe bekannte und in Deutschland äußerst populäre Hexe Bibi Blocksberg wird recht plakativ als wildes, stets zu Streichen aufgelegtes Mädchen dargestellt, wobei ihr Anderssein eher oberflächlich bleibt.

In den Harry-Potter-Romanen der britischen Autorin Joanne Rowling wiederum ist tatsächlich Raum für jede Art von Hexen. Dort gibt es gute und böse, angepasste und extrovertierte, strebsame und nachlässige Hexen. Traditionsbewusste Konservative betrachten sich als »Hexenadel« und fühlen sich höherwertig gegenüber denen, die normale Menschen als Eltern haben.

Wortherkunft und früher Wortgebrauch

Das Wort »Hexe« ist aus dem althochdeutschen »hagzissa« abgeleitet. Es gilt als wahrscheinlich, dass dieses Wort aus hag (althochdeutsch für Hecke oder auch Wald) und dem germanischen/norwegischen tysja (Elfe oder auch Geist) zusammengesetzt ist. Ursprünglich bedeutet Hexe also »auf der Hecke sitzendes (oder im Wald hausendes) weibliches Zauberwesen«. Ähnliche Vorstellungen gibt es in sehr vielen Kulturen. Verbreitet ist auch der Aberglaube, dass reale Personen (meist Frauen) Hexen seien und auf bestimmte Weise zu bestrafen sind.

Aberglaube und Hexenverfolgungen

Eine Dämonisierung und systematische Hexenverfolgung trat dagegen nur im christlich-abendländischen Europa auf, und zwar vom Spätmittelalter bis zur frühen Neuzeit. Zu vergleichbaren Exzessen kam es weder im Judentum noch im Islam, und auch nicht in der orthodoxen Kirche. Zwar betraf die Verfolgung von Ketzern, denen man Zauberei (»Hexerey«) und Teufelsdienst vorwarf, auch Männer; doch ist nicht zu leugnen, dass sich in der Hexenverfolgung auch ein erschreckendes Ausmaß an Misogynie Bahn gebrochen hat.

Die Hexe als Versucherin

Eine Wurzel liegt sicherlich in der Vorstellung von der Erbsünde. Demnach ist die Frau (Eva) besonders empfänglich für die Einflüsterungen des Teufels. Dazu kam die selbst auferlegte enthaltsame Lebensweise der Mönche und Priester. Im Kampf um die Unterdrückung sexueller Bedürfnisse wurde die Frau als Versucherin zur Handlangerin des Bösen und schließlich zum Feindbild. Weil aber die Hexenverfolgungen in der langen Geschichte des Christentums nur einen begrenzten Zeitraum (15. bis 18. Jahrhundert) einnehmen und sich auch räumlich relativ gut eingrenzen lassen (auf Mitteleuropa), ist auch diese Erklärung nicht wirklich befriedigend. Insbesondere war der Hexenwahn keine »Spezialität« der katholischen Kirche. Nach der Reformation wurde er in den protestantischen Gebieten mit mindestens ebenso großem Eifer ausgelebt.

Inquisition und Hexenhammer

Tatsächlich war die Inquisition nur eine Triebfeder der Hexenverfolgung. Diese ist vor allem als Beispiel für eine Massenhysterie anzusehen und wäre ohne breite Bereitschaft zur Denunziation nicht möglich gewesen. Zwar war die »Hexenbulle« (Summis desiderantes affectibus, 1484) von Papst Innozenz VIII. eine entscheidende Grundlage zur Legitimation der Gewalt. Für die Praxis der Hexenverfolgung wichtiger war aber ein Kommentar des Dominikaners Henricus Institoris zur Hexenbulle (Malleus maleficarum, 1487). Dieses Traktat, das unter dem Namen »Hexenhammer« bekannt ist, liefert zunächst eine praktische Anleitung, wie eine Hexe zu erkennen ist. An bestehende Vorurteile anknüpfend ergeht sich der Autor dann über die Minderwertigkeit und Verderbtheit von Frauen. Schließlich listet er — im Sinne von Empfehlungen — sadistische Folterpraktiken auf. Das Machwerk fand zwar weder kirchliche noch weltliche Anerkennung, dafür aber große Verbreitung im Volk.

Dass der Hexenwahn während und nach dem Dreißigjährigen Krieg seinen traurigen Höhepunkt hatte, ist sicher kein Zufall. Angesichts von Zerstörung, Seuchen und dann auch noch Missernten infolge der Kleinen Eiszeit verfielen die Menschen auf das Sündenbockprinzip. Bestimmte Frauen waren aufgrund ihrer Tätigkeit besonders gefährdet, Opfer dieses Prinzips zu werden. Frauen, die sich mit Heilkräutern und anderen Hausmitteln auskannten, konnten leicht von der Heilerin zur Hexe werden. Hebammen kamen unmittelbar mit den »bösen Säften« der unreinen, gebährenden Frau in Berührung; kam es gar zu Missbildungen beim Säugling, stand die Hebamme direkt im Verdacht, Handlangerin des Teufels zu sein. Es ist zu vermuten, dass sich männliche Eliten von Frauen bedroht fühlten, die in bestimmten Bereichen großes Wissen angesammelt hatten. Doch greift auch dies als Erklärung für die Hexenverfolgungen zu kurz. Denn weder gingen die Denunziationen von der Elite aus (sondern vom »einfachen Volk«), noch hielten sich Frauen dabei zurück.

Kriminalisierung und Dämonisierung von Randgruppen

Der mit Hexen verbundene Aberglaube wurde auch dazu benutzt, gesellschaftliche Randgruppen zu dämonisieren. Ein Beispiel hierfür ist die Vorstellung vom »Hexensabbat«, die den Hexenglauben mit den Juden in Verbindung bringt. (Sabbat ist der jüdische Ruhetag.) Der Hexensabbat ist demnach ein festliches Treffen sämtlicher Hexen und Hexer einer Region mit dem Teufel; dieses findet nachts an einem geheimen Ort statt. Einer der bekanntesten dieser Orte ist der Blocksberg (Brocken).

Auch Sinti und Roma (»Zigeuner«) wurden mit dem Hexen in Verbindung gebracht. Besonders in Norddeutschland wurden bis ins 19. Jahrhundert so genannte »Zigeunerbesen« in der Ladentür aufgestellt. Der Besen als Symbol der Hexe sollte Roma am Betreten des Ladens hindern. Auch im europäischen Märchen werden »Zigeuner« manchmal in Verbindung mit Hexen und Hexern erwähnt; zudem wird als Merkmal von Märchenfiguren, die mit dem Bösen im Bunde stehen, mitunter ihr schwarzes bzw. geschwärztes Gesicht erwähnt.

Hexen im Märchen

Was hat dieses dunkle Kapitel in der Geschichte Mitteleuropas nun mit unseren Märchen zu tun? Immerhin erfolgte die Verschriftlichung der mündlich tradierten Texte durch die Brüder Grimm erst Jahrzehnte nach Ende des Hexenwahns. Die Stoffe selbst dagegen sind sehr viel älter. Hexen besetzen deshalb in deutschen Märchen oft die Rolle des (weiblichen) Bösen, da sie regional- und zeittypische Prototypen dafür sind.

Illustration von Heinrich Vogeler zu dem Märchen Jorinde und Joringel
Die einsam in ihrem Schloss im Wald lebende Hexe verzaubert junge Mädchen in Vögel. Illustration von Heinrich Vogeler zu Jorinde und Joringel

In verwandten französischen oder italienischen Märchen findet man anstelle der Hexe oft den Menschenfresser (Oger, Orco) oder die Menschenfresserin. (Man vergleiche zum Beispiel Der kleine Däumling mit Hänsel und Gretel). In anderen Märchen wie Schneewittchen trägt die Feindin der Heldin zwar Merkmale einer Hexe (ältere Frau mit magischen Kräften). Jedoch wird sie entweder gar nicht oder erst relativ spät als solche benannt (»… die in Wirklichkeit eine Hexe war…«). Motive, wie die Bestrafung der bösen Stiefmutter von Schneewittchen, die im Feuer tanzen muss, könnten auf reale Begebenheiten zurückgehen. Die »Feuerprobe« wurde tatsächlich angewandt, um festzustellen, ob die Angeklagte eine Hexe ist. Zu der Zeit, als die Grimms ihre Märchensammlung anlegten (die erste Auflage erschien 1812) lagen die letzten Hexenprozesse nur wenige Generationen zurück. Es ist wahrscheinlich, dass Berichte von derart martialischen Handlungen noch eine Zeitlang kursierten und mit den älteren Märchenstoffen vermengt wurden.

Eine eigenständige Figur ist die russische (eigentlich slawische) Baba Jaga, wenngleich diese einiges mit der westlichen Hexe gemeinsam hat. Im französischen Märchen wiederum spielen Feen eine weit größere Rolle als im deutschen Märchen. Diese haben, was ihre Zauberkraft betrifft, Ähnlichkeit mit Hexen, kommen aber ohne deren Attribute (Aussehen, Besen, Hexenhaus, Tiere…) aus. Sehr speziell sind die aus der keltischen Mythologie stammenden hexenähnlichen Wesen (u.a. Cailleach) in den irischen Elfenmärchen.

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