Goldener

Das Märchen Goldener von Ludwig Bechstein ist enthalten in der Sammlung Deutsches Märchenbuch (DMB 42). Der Titelheld ist ein armer Jüngling, der durch seine golden glänzenden Haare von Geburt an unter seinen Brüdern hervorsticht. Das Motiv des goldhaarigen Jungen kommt bei den Brüdern Grimm in etwas anderer Form in dem Märchen Der Eisenhans vor. Dort steht es aber nicht allein, sondern ist — für die Handlung wichtig — mit dem Motiv des zwielichtigen Paten (Eisenhans) kombiniert.

Illustration von Ludwig Richter zu dem Märchen Goldener von Ludwig Bechstein
Goldener. Illustration Ludwig Richter (Ludwig Bechstein, Deutsches Märchenbuch, Verlag Georg Wigand, Leipzig 1857)

Inhalt

Ein armer Hirte lebt mit seiner Frau und sechs Kindern, alles Jungen, einsam im Wald. Der Jüngste ist der Kräftigste von ihnen, erstaunlicherweise sogar der Größte. Das Ungewöhnlichste aber sind seine golden glänzenden Haare, weshalb ihn die Eltern Goldener rufen.

Eines Tages werden die Brüder beim Spielen im Wald von der Dämmerung überrascht. Zwischen den dunklen Tannen tritt eine Frau hervor und setzt sich auf einen Stein. In der Hand hat sie eine kristallene Spindel, mit der sie einen hauchzarten, leuchtenden Faden spinnt. Dann beginnt sie zu singen, wobei sie in Richtung des goldhaarigen Jungen blickt:

Der weiße Fink, die goldne Ros‘,
Die Königin im Meeresschloß!

Wie sich zweigen wird, ist dies eine Prophezeiung. Zunächst aber packt die Brüder das Grausen, denn als der leuchtende Faden reißt, wird es schlagartig stockfinster. Die Jungen laufen jeder in eine andere Richtung davon. Auch Goldener irrt tagelang im Wald herum, ohne die Brüder oder die Hütte der Eltern zu finden. Schließlich lichtet sich der Wald, und vor sich sieht Goldener eine grüne Wiese.

Auf der Wiese hat ein Vogelsteller seine Garne ausgelegt. Als dieser den goldhaarigen Jungen am Waldrand erblickt, denkt er sich, dass er so einen Burschen gut gebrauchen kann. Auch Goldener kann sich ein Leben inmitten der Vögel gut vorstellen und ist gern bereit, sich anlernen zu lassen. Doch als er nach ein paar Tagen zeigen soll, was er mittlerweile gelernt hat, fängt er beim ersten Versuch einen weißen Finken. Das hält der Vogelsteller für ein böses Zeichen. Er tötet den Finken und jagt den goldhaarigen Jungen davon.

Wieder irrt Goldener durch den Wald. Nach drei Tagen kommt er zu einem schönen Garten, von dem er genauso entzückt ist wie der Gärtner von ihm. Wie der Vogelsteller denkt sich der Gärtner, so einen schönen Burschen könnte er gut gebrauchen. Und wie jener ändert er schlagartig seine Meinung, als Goldener, der ihm aus dem Wald eine Wildrose holen soll, mit goldfarbenen Rosen zurückkehrt. Ihrer Form nach sind sie so perfekt, als wären sie von einem Goldschmied gearbeitet. Der Gärtner ist überzeugt, der Goldjunge müsse mit dem Bösen im Bunde stehen. Er zertrampelt die Rosen und schickt den Jungen mit etlichen Verwünschungen weg.

Nach weiterem Umherirren kommt Goldener ans Meer. Die Wasseroberfläche glitzert in der Sonne wie flüssiges Gold. Am Ufer liegt ein Fischerboot, und auch den Fischern ist der goldhaarige Junge willkommen. Sie hatten gerade ihr Netz ausgeworfen, aber nichts gefangen. Mit ungeschickten Händen versucht Goldener sein Glück — und prompt fängt er mit seinem Netz eine goldene Krone.

Daraufhin brechen die Fischer in Jubel aus und feiern Goldener als ihren König. Der vor hundert Jahren hatte der alte König ihres Reiches, da er ohne Erben war, seine Krone im Meer versenkt und verfügt, dass derjenige sein Nachfolger werden soll, der sie wieder aus der Tiefe zieht.

Anmerkungen

Offensichtlich ist Goldener, der jüngste Sohn des Hirten, für Höheres bestimmt, und tatsächlich wird er am Ende König. Sein Weg dorthin ist allerdings für ein Märchen eher untypisch. Weder muss er ernsthafte Prüfungen bestehen, noch sich gegen einen bösen Gegenspieler durchsetzen. Die für den Helden wichtigen Ereignisse, die wie Schilderungen von Traumbildern wirken, scheinen ihm eher zu geschehen, als dass er sie aktiv gestalten würde.

Das dominierende Motiv ist die Farbe Gold, die für hohen materiellen Wert, aber auch für Licht bzw. Erleuchtung steht. Die goldenen Haaren markieren den Jungen als einen Auserwählten. Der leuchtende Faden der spinnenden Frau ist das Zeichen, das nun ein neuer Abschnitt auf seinem Lebensweg beginnt, mag er zunächst auch verworren sein. Gerade hatte er noch mit seinen Brüdern gespielt, doch als der Faden reißt, endet seine Kindheit. Ein erster Versuch, seinen Platz im Leben zu finden, scheitert, als er den weißen Vogel fängt. Die Farbe Weiß steht für hier für den Anfang; der Junge ist noch ein unbeschriebenes Blatt und unschuldig — woran auch immer — auch wenn der Vogelsteller das Gegenteil behauptet.

Mit seinem zweiten Versuch kommt Goldener seiner Bestimmung schon näher, denn die Rose, die er dem Gärtner bringt, ist goldfarben. Auch steht der Garten für eine Kultiviertheit, die dem Jungen bisher unbekannt war. Trotzdem lässt sich diese Station seines Weges auch als Regression deuten, denn um die Rose zu holen, wird er in den Wald geschickt, also dorthin, wo er hergekommen ist. Die Farbe der Rosen und ihre perfekte Form erscheinen dem Gärtner so unnatürlich, dass auch er den Jungen für teuflisch hält. Dagegen erkennen die Fischer Goldner als ihren König, als der die goldene Krone aus der Tiefe des Meeres hebt.

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