Riesen, Trolle, Menschenfresser

In vielen Mythen, Märchen und Sagen übernehmen Riesen als menschenähnliche, aber ungehobelte Wesen die Rolle des tumben Gegenspielers des »edlen« und zivilisierten Helden. Der Konflikt des Helden mit dem Riesen ist dabei eine Auseinandersetzung mit überkommenen Denkstrukturen und Wertesystemen, in der die körperliche Überlegenheit des Riesen den positiven Charaktermerkmalen des Helden (Mut, Witz, Klugheit, …) gegenüber steht.

Das tapfere Schneiderlein trifft einen dummen Riesen, Illustration von Arthur Rackham
Das tapfere Schneiderlein trifft einen dummen Riesen. Illustration Arthur Rackham

Im modernen Märchen und in der Fantasy-Literatur tritt der Riese als differenzierterer Typus in Erscheinung, der zwar viele der den Riesen zugeschriebenen Merkmale aufweist (z.B. Grobschlächtigkeit, schlechte Manieren, einfaches Denken), aber gleichzeitig durch positive Eigenschaften wie Sanftmütigkeit, Sensibilität und Charakterfestigkeit zum Verbündeten des Helden wird. Oft werden diese Riesen als „Halbriesen“ eingeführt, also Wesen, deren einer Elternteil ein Riese, der andere aber ein Mensch ist. Der wohl populärste Vertreter dieser Gattung ist der Halbriese Hagrid aus den Harry-Potter-Romanen von J.K. Rowling.

Mythologische Vorbilder

In der griechischen Mythologie verkörpern Titanen, Giganten und Zyklopen die Naturgewalten und sind gleichzeitig die Gegenspieler der olympischen Götter. Das Alte Testament erwähnt den Kampf von David gegen (den Riesen) Goliath. In der nordischen bzw. germanischen Mythologie sind die Riesen übergroße Wesen, die von Anbeginn der Welt existieren. Sie sind den Menschen wie den Göttern feindlich gesinnt. Die ersten Götter stammen von Riesen ab. In der »Ragnarök« (Götterdämmerung) wird der Untergang der Welt als Folge des Kampfes zwischen Göttern und Riesen besungen.

Riesen in Märchen, Sagen und Legenden

In der Sagenwelt des Mittelalters und erst recht in den sich später ausformenden Märchenerzählungen blieb von den Riesen das Rohe und Gewalttätige. Eigenschaften wie ursprüngliche Weisheit und Macht über die Naturgewalten gingen dagegen teilweise verloren. Der Riese tritt nun typischerweise entweder als groteske Figur auf (u.a. Rabelais Gargantua und Pantraguel), oder aber als brutaler Unhold (Menschenfresser, Oger, etwa in Perraults Kleinem Däumling, d’Aulnoy’s Der Orangenbaum und die Biene oder Basiles Floh sowie abgemildert bei den Brüdern Grimm u.a. in Das tapfere Schneiderlein, Der starke Hans und Der Königssohn der sich vor nichts fürchtet). Dumm und brutal gleichermaßen sind die Riesen, die einst England und Wales bevölkerten und von Jack dem Riesentöter zur Strecke gebracht werden.

Die bekannteste Riesenfigur der deutschen Sagen- und Märchenwelt dürfte der im Riesengebirge lebende Berggeist Rübezahl sein. Rübezahl ist von launischem Charakter, wird aber nur dann gefährlich, wenn man sich über ihn lustig macht. Unter den Grimmschen Märchen ist Der junge Riese ein Beispiel dafür, dass Riesen nicht durchgängig als dumm und böse dargestellt werden. Die Titelfigur verfügt zwar über übermenschliche Kräfte, setzt sie aber gezielt gegen jene ein, die ihn unterdrücken und ausnutzen wollen.

Der Troll

Troll, Theodor Kittelsen
Ein Troll. Theodor Kittelsen, 1911

Eine eigene Gattung von riesenhaften Fabelwesen bilden die aus der nordischen Mythologie entlehnten Trolle. Diese treten besonders in den skandinavischen Märchen zahlreich auf, wurden aber auch in unterschiedlichen Ausprägungen von der Kinder- und Fantasy-Literatur übernommen.

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