Alexander Afanasjew
Alexander Nikolajewitsch Afanasjew (russ. Афанасьев; Translit. auch Afanassjew, Afanasev) wurde am 23. Juli 1826 in Bogutschar, Oblast Woronesch, geboren und starb am 5. Oktober 1871 in Moskau. Als Sammler und Herausgeber russischer Volksmärchen (»Narodnye russkie skazkie«, herausgegeben in 8 Bänden, 1855 bis 1863 in Moskau; Kürzel NRS) gilt er heute als der »russische Grimm«; seine Sammlung übertrifft im Umfang die der Grimms (je nach Zählweise 200 bis über 600 Märchen) wie auch alle anderen europäischen Märchensammlung, die im 19. Jahrhundert nach dem Vorbild der deutschen Brüder zusammengetragen wurden.
Der russische Grimm
Im Vergleich zu den Grimms war Afanasjew stärker Sammler denn Bearbeiter. Sein Material fand er im Archiv der Russischen Geografischen Gesellschaft sowie in bereits bestehenden Sammlungen anderer Märchensammler. Bei der Bearbeitung griff er nur zurückhaltend in die Texte ein. Aus dieser Vorgehensweise folgt ein typisches Merkmal der russischen Märchensammlung, nämlich die im Vergleich zur Grimmschen Sammlung kaum erkennbare »Kanonisierung«. Varianten eines Märchens ließ Afanasjew nebeneinander stehen, anstatt sie auf eine »repräsentative« Variante zu reduzieren.
Unterschiedliche Übersetzungen und Zusammenstellungen für deutschsprachige Ausgaben haben ebenfalls dazu beigetragen, dass wir von den russischen Volksmärchen das Bild einer zusammenhängenden Märchenlandschaft haben, das wir nicht so leicht in einzelne Märchen auflösen können. Fragt man einen Deutschen nach einem typischen russischen Märchen, wird man als Antwort etwa »die Hexe Baba Jaga« oder »die schöne Wassilissa« hören, also die Namen von Figuren, die inklusive ihrer ganz eigenen Ausstattung in etlichen Märchen vorkommen. So kennt fast jeder das auf Hühnerbeinen stehende, drehbare Häuschen der Hexe Baba Jaga. Aber: DAS Märchen von der Hexe Baba Jaga gibt es nicht.
Die vorsichtige Textbehandlung durch Afanasjew war vor allem von der Idee geleitet, dass Märchen erzählte Geschichten sind. Während also die Grimms mit ihrer Bearbeitung aus den mündlich überlieferten Märchenstoffen »Literatur machten«, verfolgte Afanasjew einen gegenteiligen Ansatz. Er nahm gerade dann Korrekturen vor, wenn ihm die Vorlage zu stark »literarisiert« erschien. Daher begegnet uns in den russischen Märchen häufig der Erzähler, der sich »ich« nennt und uns »ihr«. (In den populären sowjetischen Märchenfilmen tritt an die Stelle des Erzählers meist eine rundliche Erzählerin.) Eine deftige Sprache, Sprüche, Reime, formelhafte Redewendungen und Dialoge geben den Märchen einen Klang, der lebendiges Erzählen auch beim Lesen vermittelt.
Merkmale und Figuren russischer Märchen
Die bekanntesten russischen Volksmärchen sind Zaubermärchen mit einer Reihe wiederkehrender Figuren. Neben der Baba Jaga sind dies u.a. der böse Koschtschei, der Feuervogel, das Zauberpferd und natürlich Wassilissa, die Wunderkluge. Wenn es etwas gibt, das »typisch russisch« an den russischen Volksmärchen ist, dann dürfte es dieses Ensemble von Figuren sein. Neben dem Zaubermärchen nehmen Tiermärchen einen besonders breiten Raum ein, wobei Fuchs, Bär und Wolf wiederkehrende Figuren mit bestimmten Eigenschaften sind. Teilweise erinnern diese Märchen an Tierfabeln, doch geht ihnen meist der für jene typische belehrende Charakter ab.
Russische Märchen auf Märchenatlas:
- Aljonuschka und Iwanuschka (Variante von Brüderchen und Schwesterchen)
- Die Feder von Finist, dem hellen Falken
- Die Froschprinzessin
- Die weiße Ente
- Iwan Zarewitsch, der Feuervogel und der graue Wolf
- Der Frost