Tiere im Märchen: Der Fuchs
Im Märchen ist der Fuchs, ähnlich wie in der Fabel, als besonders schlaues, listiges und manchmal auch hinterlistiges Tier charakterisiert. Oft tritt er zusammen mit anderen wilden Tieren wie Wolf, Bär oder Löwe auf, denen er als kleinstes und schwächstes Mitglied körperlich unterlegen ist. Doch er kennt die Schwächen der anderen, beispielsweise die zügellose Gefräßigkeit des Wolfes oder die Eitelkeit des Löwen, und versteht es, daraus seinen Vorteil zu ziehen. Bereits in den Fabeln des Äsop tritt der Fuchs in dieser Rolle auf, in der er ab dem späten Mittelalter vor allem durch das Epos »Reineke Fuchs« populär wurde.
Redewendungen wie »Schlaufuchs« oder »listig wie ein Fuchs« zeugen davon, wie prägend dieses Bild vom Fuchs auch heute noch ist. Gelegentlich ist auch vom »alten Fuchs« die Rede, womit ein älterer Mann gemeint ist, der seine (vermeintliche) Unterlegenheit gegenüber Jüngeren durch Wissen und Erfahrung mehr als wett machen kann. Anscheinend neueren Ursprungs ist der Spruch »Der Fuchs ist schlau und stellt sich dumm, beim <XYZ> ist es andersrum«, der darauf abhebt, dass der Fuchs sich trickreich schwächer stellt, als er ist (eine Strategie, mit der sich der Sprecher identifiziert), während das ostentativ selbstbewusste Auftreten von <XYZ> nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass »nicht viel dahinter« ist.
Für die Bedeutung des Fuchses im Märchen ist außerdem wichtig, dass dieser (im Gegensatz zu anderen Wildtieren) ein Kulturfolger ist. Die Schlauheit des Fuchses wurde ursprünglich vor allem als Instinkt oder Intuition angesehen. Doch offenbar »weiß« der kleine Räuber ziemlich genau darüber Bescheid, wie die Menschen leben. So ist er auch im Stande, sich deren Schwächen und Unachtsamkeiten zu Nutze zu machen. In diesem Sinne steht der Fuchs zwischen den Menschen, deren Dörfer, Häuser und Ställe er nachts besucht, und den übrigen wilden Tieren, die wie er im Wald leben. Oder anders gesagt: er ist ein Wandler zwischen zwei Welten.
Als Eindringling im Hühner- oder Gänsestall hat der »Schlaufuchs« sein Image natürlich ziemlich ramponiert. (Man denke etwa an das alte Kinderlied »Fuchs, du hast die Gans gestohlen«.) Daher verwundert es nicht, dass ihm seine (vermeintliche oder tatsächliche) Schläue zunehmend als Verschlagenheit ausgelegt wurde. Auch als Überträger von Krankheiten (etwa der Tollwut) hat er sich beim Menschen nicht sonderlich beliebt gemacht. Die christliche Religion interpretierte den ursprünglich noch (mindestens) halb bewunderten Fintenreichtum des Fuchses klar als Falschheit und Bosheit. Der Fuchs wurde damit zu einem Tier, das ziemlich wahrscheinlich mit dem Teufel im Bunde steht. In der älteren Symbolik steht der Fuchs unter anderem auch für Fruchtbarkeit und Potenz, was ihn für die christliche Interpretation zusätzlich suspekt machte (Triebhaftigkeit, Maßlosigkeit).
Dennoch überwiegen im Märchen die positiven Aspekte des Fuchses. Besonders zahlreich sind die Tiermärchen, in denen der Fuchs mit anderen wilden Tieren (besonders dem Wolf) interagiert und seine sprichwörtliche Schläue ausspielt. Die zweite große Gruppe bilden Märchen, in denen der Fuchs neben anderen Tieren als Helfer des Märchenhelden auftritt. Hier steht der Instinkt des Fuchses für das Unbewusste bzw. für die Weisheit, die sich dank des Fuchses für den Märchenhelden erschließt. Seltener sind Märchen, in denen die Potenz des Fuchses im Zentrum steht.
Beispiele
- Der Wolf und der Fuchs (Brüder Grimm). Der Fuchs führt den dummen, gefräßigen Wolf zu einem Bauernhof, wo dieser sich den Bauch voll schlägt und dann vom Bauern erschlagen wird.
- Der Wolf und der Mensch (Brüder Grimm). Der Fuchs zeigt dem Wolf die Welt der Menschen.
- Der goldene Vogel (Brüder Grimm). Ein Königssohn muss im Auftrag seines Vaters eine schwierige Aufgabe lösen (ihm den goldenen Vogel bringen), wobei ihm der Fuchs mehrfach hilft.
- Das Meerhäschen (Brüder Grimm). Eine Königstochter hat versprochen, denjenigen zu heiraten, der drei von ihr gestellte Rätsel löst. Der Fuchs tritt (nach Rabe und Fisch) als Helfer bei dem dritten und schwierigsten Rätsel auf.
- Die Schlange (Basile). Hier tritt der Fuchs als Helfer einer Königstochter auf, doch nimmt die Sache eine überraschende Wendung (es geht nicht gut aus für den Fuchs).
- Der Zaunkönig und der Bär (Brüder Grimm). Der Bär beleidigt den Zaunkönig, woraufhin ein Krieg zwischen den großen Vierbeinern und den kleinen, geflügelten Tieren ausbricht. Der Fuchs, der als der schlauste Vierbeiner gilt, wird zum General ernannt. Doch schon bald muss er seinen Schwanz — Symbol seiner Potenz — einziehen.
- Die Hochzeit der Frau Füchsin (Brüder Grimm). Die verwitwete Frau Füchsin will wieder heiraten, doch muss ihr neuer Gemahl mindestens ebenso potent sein, wie der verblichene.
- Der Fuchs und die Gänse sowie Der Fuchs und die Katze (Märchen der Brüder Grimm). In diesen sehr kurzen Tiermärchen wird der »Schlaufuchs« als eine lächerliche Gestalt dargestellt. Im ersten Fall scheitert er an einer Herde Gänse, weil diese erst ihr Gebet zu Ende sprechen wollen, bevor sie sich fressen lassen. Im Märchen mit der Katze wird er von einem Jagdhund geschnappt und muss sich, sein Ĺeben aushauchend, auch noch von der Katze verspotten lassen.
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