Contes de ma mère l’Oye — Charles Perrault

Der französische Beamte und Schriftsteller Charles Perrault (*1628, †1703) ist der Nachwelt vor allem durch seine Märchensammlung bekannt. Diese trägt den etwas merkwürdigen Titel Contes de ma mère l’Oye, deutsch: Märchen meiner Mutter Gans. Gemeint ist damit, dass die Märchen so alt sind wie die Mutter Karls des Großen, die der Sage nach einen großen Fuß (Gänsefuß) hatte. Wie alt die Märchen tatsächlich sind, wo ihre Wurzeln liegen und wer wann was hinzugefügt oder verändert hat, lässt sich natürlich nicht feststellen. Größtenteils wurden sie wohl mündlich überliefert, und einige von ihnen finden sich auch schon in schriftlicher Form bei früheren Märchenautoren oder -sammlern. Giambattista Basiles Pentameron beispielsweise enthält bereits Fassungen der Märchen Cendrillon (Cinderella, Aschenbrödel, Aschenputtel) und Le chat botté (Der gestiefelte Kater).

Perrault wählte acht Märchen aus unterschiedlichen Quellen aus, passte sie dem Zeitgeschmack an und fügte eine in Versform gebrachte »Moral der Geschichte« hinzu.

Die schlafende Schöne, Märchen von Charles Perrault, Märchenbilder von Harry Clarke
Die schlafende Schöne. Illustration Harry Clarke (The Fairy Tales of Charles Perrault, Harrap, London, 1922)

Die Märchen von Charles Perrault

Ohne Autorenangabe erschien diese Sammlung 1697 unter dem vollständigen Titel Histoires ou contes du temps passé, avec des moralités: contes de ma mère l’Oye. Die »alten Zeiten« (temps passé) waren wohl auch keine wirklich guten. Immerhin geht es in etlichen Märchen Perraults noch martialischer zu als bei den Brüdern Grimm. Für Perraults Dornröschen zum Beispiel fangen die Probleme erst nach dem hundertjährigen Schlaf so richtig an. Denn der Königssohn hat eine Menschenfresserin als Mutter. Auch der kleine Däumling und seine Brüder geraten an einen Menschenfresser, der in seiner Gier nach Menschenfleisch versehentlich seine eigenen Töchter ermordet. Und das Märchen vom Ritter Blaubart ist sowieso ein Klassiker der Horrorliteratur. Kein Wunder also, dass Perrault seine Märchen nicht völlig unkommentiert lassen wollte und ihnen sicherheitshalber seine »moralités« hinzufügte. Ein wichtiger Aspekt ist in diesem Zusammenhang, dass er sie Charlotte von Orleans, der Herzogin von Lothringen, widmete.

Schon vor seiner Sammlung veröffentlichte Perrault drei Märchen in Versform: Griselidis (1691), Les souhaits ridiculus (Die lächerlichen Wünsche; 1694) und Peau d`âne (Eselshaut; 1694). Sie wurden später in angeglichener Prosaform oft zusammen mit denen der Sammlung veröffentlicht.

Rezeption

In Frankreich wurden Märchen(-bücher) mit Perrault zu einer Art Salonlektüre, wovon unter anderem Marie-Catherin d’Aulnoy profitierte (Les Contes des Fées; 1697) und was den Begriff der »französischen Feenmärchen« prägte. In Deutschland hingegen setzte das literarische Interesse an Märchen erst im Zusammenhang mit der Romantik ein. Viele Vertreter der Romantik schrieben Kunstmärchen, doch im Zusammenhang mit Charles Perrault ist vor allem Ludwig Tieck zu nennen. Tieck übersetzte zwei Märchen von Perrault (Blaubart, Der gestiefelte Kater) und veröffentlichte sie zusammen mit anderen, teils selbst verfassten (Der blonde Eckbert), in dem Band Volksmährchen.

Das Interesse der Brüder Grimm wiederum wurde durch Gespräche mit Vertretern der Romantik (Clemens Brentano, Achim von Arnim) auf Märchen gelenkt. Ihre Märchensammlung wurde schließlich die umfänglichste ihrer Art und steht heute nahezu als Synonym für das Märchenbuch. Auch Perraults Märchen fanden in kleineren oder größeren Abwandlungen Eingang in die berühmten Kinder- und Hausmärchen (Ausnahme: Riquet à la houppe) und gehören in dieser Form zu den bekanntesten Märchen des deutschsprachigen Raums. Näheres zu den Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Perraults Märchen und ihren deutschen Varianten finden Sie bei den Inhaltsangaben der jeweiligen Märchen.

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