Zahlen im Märchen: Die Drei
Von den in Märchen vorkommenden Zahlen ist die Drei zweifellos die wichtigste. Die Zahl drei gilt in vielen Mythologien als besondere Zahl. In der griechischen Mythologie teilen sich die Götter Zeus, Poseidon und Hades die Herrschaft über Menschen und Götter, in der ägyptischen Mythologie gibt es die Gottheiten Isis, Osiris und Horus. Der Hinduismus kennt die Götter Brahma (den Schöpfer), Vishnu (den Erhalter) und Shiva (den Zerstörer), und die nordische Mythologie die drei Nornen (Schicksalsfrauen ) Urd (das Gewordene), Verdandi (das Werdende) und Skuld (das Werdensollende), die für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft stehen.
Im Christentum ist die Drei vor allem im Zusammenhang mit der Lehre von der Dreifaltigkeit Gottes (Vater, Sohn und heiliger Geist) von Bedeutung. Die heilige Familie besteht aus drei Personen (Maria, Jesus und Josef). In der Weihnachtsgeschichte sind es drei Könige aus dem Morgenland, die dem Stern von Bethlehem folgen. Und Ostern, das wichtigste Fest der Christen, feiert die Auferstehung Jesu am dritten Tag nach seiner Kreuzigung. Als göttliche Tugenden gelten den Christen drei: Glaube, Liebe, Hoffnung. Im 1. Korintherbrief heißt es: „Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe.“
Im Märchen tritt die Drei hauptsächlich in drei Grundmustern auf: drei Brüder, drei Wünsche, drei Prüfungen. Das Grundmuster des Märchens von drei Brüdern (Beispiele hier) besteht darin, dass einer (der jüngste) anfangs gegenüber seinen älteren Brüdern benachteiligt ist, dann aber im Laufe der Handlung eine Reifung durchmacht, um schließlich die anderen zu übertrumpfen. Als Beispiele seien genannt Die goldene Gans, Die Jungfrau auf dem Glasberg sowie Die Froschprinzessin. Die weibliche Entsprechung (drei Schwestern) kommt vor, ist aber weit seltener. Bei den Töchter überwiegt die Konstellation der zwei gegensätzlichen (Stief-)Schwesetrn, wie zum Beispiel Goldmarie und Pechmarie in Frau Holle. (In der Zahlensymbolik steht die Zwei für das Weibliche.)
Wenn ein Märchenheld drei Wünsche frei hat, dann kommt es meist auf den letzten besonders an. Die beiden ersten Wünsche sind oft töricht, banal oder kurzsichtig. Die Wünsche werden von dem zauberkräftigen Wesen zwar erfüllt, allerdings verbunden mit einer Ermahnung. Den dritten Wunsch dürfe der Held nicht ebenso leichtfertig für unwichtige Dinge hergeben. „Vergiss das Beste nicht“, mahnt zum Beispiel Petrus den Schmied von Jüterbogk. Doch der wünscht sich trotzdem nur eine stets volle Schnapsflasche.
Das Glasmännchen aus Das kalte Herz, verweigert dem Kohlenmunk-Peter zunächst den dritten Wunsch, nachdem dieser zuvor zwei törichte Wünsche geäußert hat. Der dritte Wunsch ist daher noch übrig, als Peter menschlich gereift ist, aber ohne ein Wunder erledigt wäre. In schwankartigen Märchen von den törichten drei Wünschen weiß der Wünschende nichts Rechtes mit seinem Glück anzufangen. Die Erfüllung der ersten beiden Wünsche führt ihn in groteske Situationen. Den letzten Wunsch muss er einsetzen, um mit einem blauen Auge davonzukommen.
Oft muss der Märchenheld oder die Märchenheldin drei Prüfungen bestehen oder drei Aufgaben lösen. Erst wenn alle drei gelöst sind, kommt das Märchen zu seinem glücklichen Ende. Oft stehen dem Helden (der Heldin) drei Helfer oder drei Zaubergegenstände zur Seite, die er oder sie am Anfang der Prüfungstrinität durch positive Charaktereigenschaften (Güte, Mildtätigkeit) erwirbt. Im Märchen Der Teufel mit den drei goldenen Haaren kommt das Motiv der drei Prüfungen dreifach verschachtelt vor. Der König versucht dreimal, den in einer Glückshaut geboren Jungen umzubringen. Beim ersten Mal wirft er ihn als Säugling ins Wasser. Dann gibt er brieflich den Befehl zu seiner Ermordung und schließlich verlangt er von ihm, dem Teufel drei Haare auszureißen. Auf dem Weg zum Teufel werden ihm drei scheinbar unlösbare Rätsel gestellt, durch deren Beantwortung es ihm schließlich gelingt, über den bösen König zu siegen.
Andere Beispiele für drei Prüfungen sind Rumpelstilzchen (dreimal kommt der Zwerg der Müllerstochter zur Hilfe, um Stroh zu Gold zu spinnen), Schneewittchen (drei Mordversuche durch die Stiefmutter) und Frau Holle (Äpfel schütteln, Brot aus dem Ofen ziehen, Betten ausschütteln).
Neben der Drei sind die Sieben und die Zwölf besonders wichtige Zahlen im Märchen.