Die entdeckte Alte

Der Schwank Die entdeckte Alte ist enthalten in Giambattista Basiles Märchensammlung Pentameron (zehntes Märchen des ersten Tages). Die groteske Geschichte von einem lüsternen König, den der Liebeswahn blind macht, und einer alten Vettel, die auf wundersame Weise wieder jung wird, wurde neben zwei anderen Märchen (Die bezauberte Hirschkuh, Der Floh) aus dem Pentameron in Matteo Garrones Film Das Märchen der Märchen (2015) in Szene gesetzt.

Inhalt

Zwei alte Weiber leben zurückgezogen im Garten unterhalb des Schlosses und haben kaum Kontakt zu anderen Menschen. Da sie sich nur miteinander unterhalten können, haben sie die Eigenart entwickelt, sich über alles mögliche zu beklagen. Diese ständigen Klagen dringen ans Ohr des Königs und wecken in ihm die Phantasie, da unten müsse eine außergewöhnliche zarte und empfindsame Frau wohnen. (In Garrones Film hört der König eine der Frauen mit jugendlich schöner Stimme singen.) In seinem Liebeswahn malt er sich eine strahlend schöne (und natürlich junge) Frau aus, die er unbedingt haben will. Er stellt ihr nach, und ihre Weigerung, auch nur ihr Gesicht zu zeigen, heizt seine Begierde nur noch mehr an.

Die beiden Alten sind ihrerseits hin- und hergerissen zwischen dem Impuls, sich zu verstecken, und dem Wunsch, das reizvolle Spiel des Königs mitzuspielen. Also lassen sie sich auf Drängen des Königs darauf ein, ihm wenigstens einen Finger zu zeigen, indem sie ihn durchs Schlüsselloch stecken. Über die Frage: wessen Finger? werden sie natürlich zu Rivalinnen. Sie saugen um die Wette an ihren Fingern, aber die Ergebnisse sind nicht überzeugend. Deshalb zeigt die Siegerin des Wettbewerbs lieber doch ein Stöckchen vor, was der König in seinem Wahn nicht bemerkt. Und er lässt nicht locker: er will unbedingt, dass die vermeintlich Schöne nachts in sein Zimmer kommt. Die Alte fasst sich schließlich ein Herz und verspricht dem Verehrer zu kommen. Allerdings unter der Bedingung, dass es ganz dunkel sein muss, da sie sehr schamhaft sei.

Die Liebesnacht verläuft zunächst erfolgreich, nicht zuletzt, weil die Alte mithilfe ihrer Schwester ein handgemachtes Lifting vorgenommen hat (schöne Szene im Film!). Die viele überflüssige Haut wurde hinten zu einem dicken Wulst zusammengebunden, sodass die Vorderseite der Alten schön straff ist. Zwar ertastet der König bei der Umarmung im Dunkeln den irritierenden Auswuchs, ist aber viel zu beschäftigt, um der Sache auf den Grund zu gehen. Doch kaum dass die Alte ermattet eingeschlafen ist, holt der König ein Licht, um seine Eroberung auch mit den Augen in Besitz zu nehmen.

Sein Entsetzen ist so groß wie zuvor sein Verlangen; umgehend ruft er seine Dienerschaft, um das betrügerische Weib aus dem Fenster werfen zu lassen. Die entdeckte Alte fleht und bettelt, doch das macht den König nur noch wütender, besonders ihr Einwand, es sei schließlich sein eigenes Verlangen gewesen, das sie in diese Situation gebracht habe. Also wird die entdeckte Alte vor dem Morgengrauen aus dem Fenster geworfen. Zu ihrem Glück verfängt sie sich in den Zweigen eines großen Strauchs. Noch mehr Glück hat sie, weil zufällig ein paar Feen im Garten wandeln, die sie halbnackt, zappelnd und jammernd im Strauch hängend finden. Sie müssen bei diesem Anblick herzhaft lachen und bedanken sich für die Erheiterung nach Feenart, indem sie ihr Jugend, Schönheit, Tugendhaftigheit und ein vornehmes Wesen wünschen. Als die Sonne aufgeht, ist die übel behandelte entdeckte Alte mindestens so attraktiv wie das Phantasiebild im Kopf des Königs.

Als der König nach Tagesanbruch nachsieht, was aus seiner Bettgefährtin geworden ist, traut er seinen Augen nicht. Er überschüttet die Schöne mit Schmeichelein, bis sie schließlich bereit ist, seine Frau zu werden. Zur Hochzeitsfeier wird auch ihre frühere Gefährtin eingeladen, die aus dem Staunen gar nicht herauskommt. Natürlich will sie unbedingt wissen, wie die andere es angestellt hat, sich derart zu verwandeln. Der König wird langsam misstrauisch, warum seine schöne junge Frau der hässlichen Alten so viel Aufmerksamkeit widmet. Um sie abzuwimmeln, behauptet die frischgebackene Königin schließlich, sie habe sich häuten lassen, dies sei das Geheimnis ihres jugendlichen Aussehens. Die runzelige Alte kann es kaum erwarten, sich ebenfalls häuten zu lassen. Sie beschwatzt einen Barbier so lange, bis der schließlich die ungewöhnliche »Rasur« übernimmt. Getreu dem Motto »Wer schön sein will, muss leiden« erträgt die Alte die Schmerzen, stirbt aber noch während der Prozedur.

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