Märchen in Bildern: Aschenputtel
Im Folgenden findest du eine Zusammenstellung von Illustrationen zum Märchen Aschenputtel — im weiteren Sinne. Denn dieses Märchen ist in vielen Fassungen in den verschiedenen europäischen Märchensammlungen vertreten. Neben der zweifellos bekanntesten Sammlung, den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm, sind für den deutschsprachigen Raum v.a. die Märchen von Ludwig Bechstein zu nennen. In dessen Deutschem Märchenbuch heißt das Märchen Aschenbrödel und weicht nur geringfügig von der Grimm’schen Fassung ab. Etwas größer ist der Unterschied zur Fassung des Franzosen Charles Perrault. Bei ihm heißt es Cendrillon, was dem englischen Cinderella sehr ähnlich ist. Da in englischsprachigen Märchenbüchern meist der Name Cinderella verwendet wird, ist mitunter nicht auf Anhieb klar, ob es sich um eine Übersetzung der deutschen oder der der französischen Fassung handelt.
Die wichtigsten Szenen sind das Mädchen mit Tauben (nur in den deutschen Fassungen enthalten), die Vorbereitung für den Ball, Aschenputtels fluchtartiger Aufbruch aus dem Schloss und — vielleicht die allerwichtigste — die Probe, ob dem Mädchen der verlorene Schuh passt. Auf Details, die für die Unterscheidung der Fassungen wichtig sind, wird nach bestem Wissen hingewiesen. Geordnet ist die Zusammenstellung nach dem Erscheinungsjahr des jeweiligen Buches.
Ludwig Richter
Ludwig Richter (*1803, †1884) war ein Maler und Zeichner des Biedermeier. Bekannt wurde er vor allem für seine Holzschnitt-Illustrationen, die er unter anderem für die Märchensammlungen von Musäus und Ludwig Bechstein anfertigte. Die beiden folgenden Illustrationen zeigen Bechsteins Aschenbrödel am Grab ihrer Mutter und in romantischer Vertrautheit mit den Tauben (aus Bechstein, Deutsches Märchenbuch, Verlag Georg Wigand, Leipzig 1853). Richters Bilder betonen nicht die Benachteiligung des Mädchens gegenüber ihren Schwestern (die nicht zu sehen sind), sondern ihre Frömmigkeit. Auffällig das Kreuz, das sie als Schmuck am Halsband trägt.
Gustave Doré
Der französische Grafiker Gustave Doré (*1832, †1883) illustrierte die Märchen von Charles Perrault (Les Contes de Perrault, Verlag Julius Hetzel, 1862). Das erste der beiden folgenden Bilder zu Cendrillon zeigt eine Szene, die nur bei Perrault vorkommt. Die alte Frau in der Bildmitte ist Cendrillons Patin und eine Fee; den Kürbis verzaubert sie in eine Kutsche, mit der das Mädchen zum Ball fahren kann.
Das zweite Bild zeigt die sehr oft illustrierte Szene der Schuhprobe. Diese ist in Perraults Fassung im Wesentlich ähnlich mit der Grimm’schen und der von Bechstein. Allerdings ist der Schuh von Cendrillon ein gläserner Pantoffel (bei den Grimms ist es einfach ein Pantoffel, bei Bechstein ein goldener Schuh). Die Bescheidenheit des Mädchens grenzt in Dorés Illustration an Devotheit, und die Art, wie die älteren Herren (rechts) im Auftrag des Königs (links) die Schuhprobe vornehmen, wirkt leicht anzüglich.
Paul Meyerheim
Der Maler Paul Meyerheim (*1842, †1915) illustrierte die 20. Auflage der Kleinen Ausgabe der Kinder- und Hausmärchen (1874). Zu den darin enthaltenen Illustrationen gehört auch das folgende Bild von Aschenputtel. Meyerheim wählte er die oft illustrierte Szene des Mädchens mit den Tauben, die bei ihm überaus idyllisch wirkt. Die Küche, in der sie schmutzige Arbeiten verrichten muss, wird durch blühende Zweige und hereinströmendes Licht verschönert. Ob Aschenputtel traurig ist, weil sie nicht zum Ball gehen darf, ist auf dem Bild nicht zu erkennen; in erster Linie wirkt sie selbstversunken und entspannt.
Eugen Klimsch
Eugen Klimsch (*1839, †1896) illustrierte eine Einzelausgabe mit dem Titel Aschenbrödel, also die Fassung von Ludwig Bechstein. Sie erschien 1880 als Nr. 4 der Reihe Deutsche Märchen in Wort und Bild im Verlag August Nicol, Wiesbaden. Das folgende Bild ist das letzte von insgesamt sechs und zeigt die Schuhprobe. Dabei hat der Illustrator Wert auf ein Detail gelegt, das so nur in Bechsteins Fassung vorkommt: den goldenen Schuh. Aschenputtel senkt bescheiden den Blick, ohne devot zu wirken (vgl. oben Doré); auch kniet der junge König vor ihr nieder.
Alexander Zick
Alexander Zick (*1845, †1907) zeigt Aschenputtel, ähnlich wie Meyerheim, mit den Tauben in einer kellerartigen Küche (Märchen für Kinder, Verlag Grote, Berlin, um 1880). Doch hier sieht die Küche weniger einladend aus und der Blick des Mädchens zeigt unmissverständlich, dass sie gern anderswo wäre. Während bei Meyerheim die Anordnung von Mädchen und Tauben vor allem auf Vertrautheit schließen lässt, sendet Zicks Aschenputtel allein schon durch ihre Körperhaltung und Mimik einen Hilferuf an die Tauben. (Bekanntlich sagt sie außerdem: »Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen«.)
Carl Offterdinger
Carl Offterdinger (*1829, †1889) schuf mehrere Illustrationen zu Aschenputtel, die in unterschiedlichen Sammelbänden veröffentlicht wurden (u.a. Mein erstes Märchenbuch, Verlag Wilhelm Effenberger, Stuttgart um 1885). Es ist unverkennbar, dass die Illustrationen für ein bürgerlich-städtisches Publikum gedacht waren. Sie konzentrieren sich ganz auf das Thema »armes Mädchen findet ihren Prinzen« und meiden alles, was irgendwie »schmutzig« oder verstörend wirken könnte: die Küche mit dem Ofen, die Tauben und auch das Grab der Mutter.
Das folgende Bild zeigt, wie Aschenputtel eilig den Ball verlässt, um unerkannt zu bleiben. Auf einer der Stufen hinter ihr liegt ihr Schuh. Die Szene wurde auch von späteren Illustratoren gern gewählt, wobei die Protagonistin meistens schneller unterwegs ist als hier (vergleiche v.a. Hanns Anker).
Das zweite Bild zeigt einmal mehr die Schuhprobe. Aschenputtels Kleid ist zwar deutlich schlichter als das ihrer Schwester, aber nicht gerade die Art von Bekleidung, die frau für schmutzige Hausarbeiten tragen würde. Vergleiche etwa die Schuhprobe oben bei Klimsch oder unten bei Stroedel. Auch durch ihre Frisur wirkt Aschenputtel hier eher wie ein adrett zurecht gemachtes Dienstmädchen in einem (groß-)bürgerlichen Haushalt.
Außer diesen beiden Bildern gibt es noch eines, auf dem Aschenputtel ihren Schwestern beim Herausputzen für den Ball hilft. Ein weiteres zeigt Aschenputtel als elegante Dame auf dem Ball.
Hermann Vogel
Hermann Vogel (*1854, †1921) war ein Maler und Illustrator aus dem Vogtland (Sachsen). Er führte nach seiner Geburtsstadt Plauen auch den Künstlernamen Hermann Vogel-Plauen. Vogel illustrierte Abenteuerromane, Heldensagen, die Märchen und Sagen von Musäus sowie die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm (Verlag Braun & Schneider, 1894). Unter den dort enthaltenen farbigen Illustrationen ist auch das folgende Bild von Aschenputtel. Vogel hat das Bild so arrangiert, dass mehrere Motive gleichzeitig zu sehen sind. Links Aschenputtel im schlichten Arbeitskleid; auch der Ofen und ein paar Tauben sind zu sehen. Die Bildmitte und den rechten Teil nehmen die herausgeputzten Schwestern ein, die spöttisch, aber auch ein wenig mitleidig auf Aschenputtel herab blicken.
Thekla Brauer
Thekla Brauer (*1856, †1943) illustrierte eine Zusammenstellung Grimm’scher Märchen (Fünfzig Kinder- und Hausmärchen gesammelt durch die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm, Otto Spamer, Leipzig 1895). Ihr Aschenputtel hat sich gerade am Grab der Mutter für den Ball fein gemacht.
Maria Hohneck
Maria Hohneck (vermutlich *1866, †1949) wurde in Radebeul bei Dresden geboren und war zwischen 1895 und 1925 als Kinderbuch-Illustratorin aktiv. Ihre Aschenputtel-Illustration erschien in einer Zusammenstellung Grimm’scher Märchen (Goldenes Märchenbuch. Eine Sammlung der beliebtesten Märchen mit 96 farbigen Abbildungen. Weise, Stuttgart 1905). Sie wählte, wie etwa auch Meyerheim, das romantische Motiv des von Tauben (und übrigens auch anderen Vögeln) umringten Mädchens. Stilistisch aber hat sich Hohneck vom Naturalismus vollständig abgewandt. Aschenputtel wirkt hier durch ihre Körperhaltung deutlich selbstbewusster; ihre Kleidung ist weder bäuerlich (wie bei Meyerheim, Klimsch und Zick) noch bürgerlich (wie bei Offterdinger), sondern beinahe klassisch-elegant.
Arthur Rackham
Der englische Illustrator Arthur Rackham (*1867, †1939) zeigt Aschenputtel von einer ganz anderen Seite. Seine Cinderella (in The Fairy Tales of the Brothers Grimm, London, 1909) ist eine elegante junge Dame, die ihren Erfolg als Ballkönigin sichtlich genießt.
Hanns Anker
Der Grafiker und Illustrator Hanns Anker (*1873, †1950) schuf für ein Heft mit dem Titel Aschenbrödel (A. Molling & Comp., ca. 1910) insgesamt acht Bilder. Stilistisch unterscheiden sich diese von den älteren Illustrationen zu Aschenputtel & Co. noch deutlicher als das Bild von Hohneck.
Das erste für unsere Zusammenstellung ausgewählte Bild zeigt das gleiche Motiv wie bei Hohneck. Auch bei Anker haben sich andere Vögel unter die Tauben gemischt. Aschenputtel wirkt hier nicht so stark wie bei Hohneck, doch dafür blickt sie den Betrachter direkt und etwas verschmitzt an.
Auf dem nächsten Bild hilft Aschenputtel den Schwestern beim Ankleiden für den Ball. Bemerkenswert ist ihre elegante Frisur.
Noch deutlicher als die Frisur verweist das im nächsten Bild zu sehende Outfit Aschenputtels auf die Entstehungszeit der Illustrationen. Jugendstil auch in diesem Detail. Vergleicht man allein nur den Haarschmuck von Aschenputtel mit den Hauben der Schwestern im Bild zuvor, ist klar, warum der Prinz nur mit ihr tanzen wollte.
Das folgende Bild zeigt Aschenputtel bei ihrem Aufbruch vom Ball. Hier hat es jemand wirklich eilig! Auf den Stufen sieht man nicht nur den Schuh (Ballerina!), sondern auch das Pech, das der Prinz ausgießen ließ, um ihr auf die Schliche zu kommen.
Georg Albert Stroedel
Auch Georg Albert Stroedel (*1870, †1938) gestaltete eine Einzelausgabe von Aschenputtel mit sechs Illustrationen (erschienen im Verlag Joseph Scholz, Mainz 1911). Das erste Bild zeigt eine Szene, die nur selten illustriert wurde, obwohl sie für die Ausgangssituation des Märchens sehr wichtig ist. Hier bringt der Vater für seine leibliche Tochter, Aschenputtel, einen Haselnusszweig mit (die Stieftöchter hatten sich Kleider bzw. Schmuck gewünscht). Den Zweig pflanzt Aschenputtel auf das Grab der Mutter, wo er zu jenem Baum heranwächst, zu dem sie später sagt: »Bäumchen rüttel dich und schüttel dich, wirf Gold und Silber über mich«.
Das nächste Bild zeigt Aschenputtel in der Küche mit den Tauben. Es ist offensichtlich, dass sie lieber anderswo wäre, nämlich auf dem Ball.
Und schließlich wieder die Schuhprobe.
Elenore Abbott
Die US-Amerikanerin Elenore Abbott (*1875, †1935) illustrierte eine 1920 erschienene amerikanische Ausgabe Grimm’scher Märchen (Grimm‘s Fairy Tales, C. Scribner’s Sons, New York). Unter den Illustrationen ist die Szene, in der Aschenputtel bzw. Cinderella das Bäumchen um ein Kleid für den Ball bittet.
Harry Clarke
Der irische Glasmaler und Buchillustrator Harry Clarke (*1889, †1931) illustrierte die Märchen von Charles Perrault (The Fairy Tales of Charles Perrault, George Harrap, London 1922). Cinderella / Cendrillon hilft ihren Schwestern bei den Vorbereitungen für den königlichen Ball. Sie selbst ist von der Haube bis zu den Pumps höchst eigenwillig gekleidet.
William Henry Margetson
Die Illustration des Engländers William Henry Margetson (*1861, 1940) darf hier allein schon deshalb nicht fehlen, weil sie ein markantes Detail zeigt, durch das sich Perraults Fassung von der hierzulande bekannten Grimm’schen Fassung unterscheidet. Nämlich die Kürbiskutsche, in der Cinderella / Cendrillon zum Ball des Königs fährt und die durch ihre Patin, eine Fee, herbeigezaubert wird. Witzigerweise heißt der Band, in der diese Illustration erschien, Stories from Grimm (erschienen 1925 bei Nelson and Sons). Doch wie die Kürbiskutsche beweist, muss es sich bei dem dort enthaltenen Märchen Cinderella um Perraults Variante handeln.
Anne Anderson
Das folgende Bild der Treppenszene stammt von der schottischen Illustratorin Anne Anderson (*1874, †1930). Es ist enthalten in dem Band Old, Old Fairy Tales (Whitman Publishing Company, 1935), aber möglicherweise schon einmal früher veröffentlicht worden. Hinter dem Mädchen liegt, wie es sich gehört, ihr verlorener Schuh. Etwas rätselhaft erscheint aber ihr Kleid, das nicht eben wie ein Ballkleid anmutet.
Gertrud Caspari
Den Abschluss unserer Zusammenstellung macht eine Illustration von Gertrud Caspari (*1873, †1948). Sie ist enthalten in dem Band Kommt ins Märchenreich (Alfred Hahn’s Verlag, Leipzig 1952), möglicherweise aber schon einmal früher veröffentlicht worden. Die Szene mit dem Mädchen in der Küche, das von Tauben (und andern Vögeln) umflattert in ihrer Küche sitzt, wirkt hier weder idyllisch noch düster, sondern in erster Linie kindlich.