Ricdin-Ricdon

Ricdin-Ricdon ist ein französisches Märchen, aufgeschrieben von Marie-Jeanne l’Heritier, in La tour ténébreuse et les jours luninineux, 1705; eine Variante des bekannten und weit verbreiteten Märchens von Rumpelstilzchen. Der erste Teil entspricht im Wesentlichen einem der weniger bekannten Märchen der Brüder Grimm, nämlich Die drei Spinnerinnen, in dem die Figur des zwielichtigen männlichen Helfers Ricdin-Ricdon (Rumpelstilzchen) durch drei alte Weiber (»Muhmen«) ersetzt ist. Eine ältere Fassung dieses Märchentyps ist Die sieben Schwarten von Giambattista Basile.

Illustration von Herbert Cole zu dem Märchen Ricdin-Ricdon
Ricdin-Ricdon. In der englischen Fassung heißt er Tom Tit Tot. Illustration Herbert Cole (Fairy Gold: A Book of Old English Fairy Tales, J. M. Dent & Sons, London, 1906)

Inhalt

Ein Königssohn entfernt sich auf einer Jagd von seinem Gefolge und gelangt in ein Dorf, wo er in einem Garten ein schönes Mädchen sieht, das einen Spinnrocken im Arm hält. Ein hässliches, altes Weib schimpft auf das Mädchen ein und schlägt sie sogar. Der Königssohn fragt die Alte höflich, warum sie das Mädchen so übel behandelt. Angesichts der vornehmen Kleidung des Fremden hält es die Alte für ratsam, ihm nicht über den Mund zu fahren, wie es ihre Gewohnheit ist. Sie erzählt ihm, das Mädchen sei ihre Tochter und es würde ihr Kummer bereiten, dass das Mädchen nichts anderes im Kopf hat, als von morgens bis abends zu spinnen. Nun, wenn dies der Grund für den Ärger der Alten ist, weiß der Königssohn Abhilfe. Seine Mutter, die Königin, weiß fleißige und geschickte Handarbeiterinnen zu schätzen. Also nimmt er die Zierpuppe, wie die Alte sie nennt, mit an seinen Hof.

Bei Hofe wird sie gütig aufgenommen. Wegen ihrer Schönheit und ihrer Bescheidenheit werden ihr viele Komplimente gemacht, was nicht wenigen Hofdamen missfällt. Rosanie, so heißt die Schöne, bekommt ein schönes Zimmer im Schloss, und dann zeigt man ihr die Flachsvorräte der Königin. Sie könne frei wählen, mit welcher Flachssorte sie beginnen möchte. Was aber irgendwie egal ist, weil: aufarbeiten müsse sie die gesamten Flachsvorräte sowieso. Das ist es, was die gütige Königin mit ihr vor hat. Diese Aussicht stürzt das Mädchen in Verzweiflung, denn die Auskunft der Alten über ihre Tochter war eine Lüge — Rosanie hasst die langweilige Arbeit des Spinnens wie nichts anderes.

Eine Zeit lang gelingt es ihr, die Königin mit Ausreden hinzuhalten. Doch schon bald erregt sie damit das Misstrauen der neidischen Konkurrentinnen. Da sie ihre Lage für aussichtslos hält — bald würde ihr Unvermögen ans Licht kommen, zurück zur Mutter will sie aber auch nicht — beschließt sie, ihrem Leben ein Ende zu setzen, indem sie sich von einem hoch gelegenen Pavillon stürzt. Auf dem Weg dorthin begegnet sie einem Mann von finsterem Aussehen, der sie nach dem Grund für ihre offensichtliche Verzweiflung fragt.

Rosanie erzählt ihm von der für sie unlösbaren Aufgabe, aus den Unmengen von Flachs etwas Ansehnliches zu spinnen. Daraufhin bietet er ihr ein Stäbchen an, aus fein poliertem Holz und mit Edelsteinen besetzt. Damit lassen sich alle Handarbeiten in bester Qualität im Handumdrehn erledigen. Er würde es ihr für drei Monate leihen. Wenn sie ihm dann das Stäbchen zurückgibt und dabei seinen Namen nennt, sind sie quitt. Doch sollte sie seinen Namen vergessen haben, würde er sie mitnehmen und hinbringen, wohin immer es ihm beliebt. Rosanie scheint dieser Handel akzeptabel, denn der Name des Mannes ist so seltsam, dass sie ihn bestimmt nicht vergessen wird: er heißt Ricdin-Ricdon.

Die nächste Zeit verläuft für Rosanie sehr glücklich. Das Spinnen gelingt ihr schnell und zur höchsten Zufriedenheit der Königin. Und wie alle am Hof bemerken, hat der Königssohn eine heftige Zuneigung zu ihr gefasst, die sie erwidert. Doch bald trübt sich ihre Stimmung, denn sie muss feststellen, dass ihr der Name ihres etwas unheimlichen Retters nicht einfallen will. Dem Königssohn entgeht nicht, dass seine Liebste immer trauriger wird, und bald geht die niedergedrückte Stimmung auch auf ihn über. Eines Tages reitet er aus, um sich ein wenig abzulenken. In tiefes Grübeln versunken gelangt er an ein verfallenes, scheinbar unbewohntes Schloss. Doch er bemerkt Lichter, reitet näher heran und belauscht einen Mann von abschreckendem Äußeren, der (ähnlich wie Rumpelstilzchen) einen verräterischen Spruch aufsagt:

Wenn das junge, hübsche Mädchen,
das nur Kinderspiele weiß,
hätt in seinem Sinn behalten,
dass Ricdin-Ricdon ich heiß,
käm‘ sie nicht in meine Schlingen.
Doch nun ist die Schöne mein,
denn das Wort fällt ihr nicht ein.

Wenig später erzählt der Königssohn Rosanie von der merkwürdigen Begegnung und erwähnt auch den Namen Ricdin-Ricdon. Rosanie dankt dem Himmel für die gnädige Fügung und gibt dem kurz darauf erscheinenenden finsteren Mann mit kühlen Worten sein Stäbchen zurück: »Hier, Ricdin-Ricdon, nehmt Euer Stäbchen.« Der Herr verabschiedet sich mit wütendem Geheul, und Rosanie heiratet ihren Prinzen.

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