Die klare Sonne bringts an den Tag
Die klare Sonne bringts an den Tag ist ein Märchen der Brüder Grimm (Kinder- und Hausmärchen, KHM 115). Die kurze, lehrreiche Geschichte erzählt eine vielleicht wahre, vielleicht auch erfundene Begebenheit, die sich so oder ähnlich tatsächlich zugetragen haben könnte. Insofern ist sie eher ein frühes Beispiel dessen, was wir heute »Urban Legend« (oder »Moderne Sagen«) nennen, als ein Märchen.
Inhalt
Ein wandernder Schneidergeselle hat schon lange Zeit keine Arbeit gefunden. Als er keinen einzigen Heller mehr hat, trifft er unterwegs einen Juden. In seiner Not fasst der Schneider den Entschluss, den Juden auszurauben. Der Jude fleht um sein Leben und beteuert, dass sich die frevelhafte Tat gar nicht lohnen würde, da er auch nicht mehr als lächerliche acht Heller hat. Doch der Schneider prügelt ohne Erbarmen auf ihn ein. Die letzten Worte des Juden sind: »Die klare Sonne wird es an den Tag bringen«, dann stirbt er und der Schneider versteckt seinen Leichnam im Gebüsch.
Danach wendet sich das Schicksal des Schneiders zum Besseren. Er findet Arbeit bei einem Meister in der Stadt, verliebt sich in dessen Tochter und heiratet sie. Wenig später stirbt der Vater, sodass der junge Schneider nun sein eigenes Geschäft hat. An einem schönen, sonnigen Morgen bringt die Frau dem Schneider seinen Kaffee. Die Sonne malt Kringel auf die spiegelnde Oberfläche des Kaffees und an die Wand, woraufhin der Schneider murmelt: »die Sonne will’s an den Tag bringen und kann’s nicht«. Die Frau des Schneiders möchte wissen, was diese rätselhaften Worte zu bedeuten haben. Weil sie keine Ruhe gibt, erzählt ihr der Schneider von dem Juden. Sie verspricht, es nicht weiter zu erzählen, doch noch am gleichen Tag erzählt sie’s ihrer Gevatterin, die ihrerseits verspricht, es nicht weiterzuerzählen. Drei Tage später weiß es die ganze Stadt; der Schneider wird angeklagt und gerichtet.