Armut gilt nichts, Reichtum ist Verstand

Märchen aus Josef Haltrichs Sammlung Deutsche Volksmärchen aus dem Sachsenlande in Siebenbürgen (1856);

Ein kluger, aber armer Mann verlässt sein Dorf und seine Frau, um in der Fremde Reichtum zu erwerben. Seiner Armut wegen erachten seine Nachbarn alles für töricht, was er sagt, so gescheit es auch sein mag. Er verdingt sich also bei einem großen Herrn als Ziegenhirte und wird nach zwanzig Jahren für seinen treuen Dienst reich belohnt. Außerdem gibt ihm sein Herr einen wichtigen Rat mit auf den Weg: Daheim angekommen solle er erst dreimal seinen Zorn abkühlen lassen, bevor er etwas tut.

In seinem Dorf angekommen, wird er von niemandem erkannt. Er kehrt zunächst bei seinem Nachbarn ein und sieht seine Frau mit einem jungen Mann ins Haus gehen. Beide scheinen sehr glücklich zu sein, und als er vom Nachbarn erfährt, dass im Haus der Nachbarin (seiner Frau) morgen Hochzeit sei, packt ihn die Wut. Fast hätte er sein treuloses Weib ermordet, doch besinnt er sich rechtzeitig auf die Mahnung seines Herrn. Beherrscht tritt er also vor seine Frau, die ihn ebenfalls nicht erkennt. Freundlich bittet sie ihn dazubleiben, denn heute sei die Hochzeit ihres Sohnes. Nun schämt sich der Mann für seinen üblen Verdacht gegen die Frau und dafür, dass er seinen damals noch kleinen, inzwischen erwachsenen Sohn vergessen hat. Glücklich feiert die Familie das Wiedersehn und die Hochzeit des Sohnes.

Der Mann aber wurde wegen seines Reichtums nun bald bekannt im Dorfe und angesehen, und was er jetzt immer sagte, das galt bei den Leuten und fand Glauben. Da erzählte er eines Tages in einer Versammlung: er habe eines Abends seine Ackereisen ins Stroh gelegt, und siehe da, bis zum Morgen hätten die Mäuse dieselben gefressen. Die Leute machten große Augen, es fiel aber keinem ein, daran zu zweifeln.