Die Rabe

Die Rabe ist ein Märchen der Brüder Grimm (Kinder- und Hausmärchen, KHM 93). Das Märchen beginnt ähnlich wie Die sieben Raben (Verwünschung eines kleinen Kindes durch die Mutter), danach dominiert das Erlösungsmotiv (verwünschte Königstochter wartet auf ihren Erlöser).

Illustration von Otto Ubbelohde zu dem Märchen Die Rabe von den Brüdern Grimm
Die Rabe, Illustration Otto Ubbelohde (Kinder- und Hausmärchen, Turm-Verlag Leipzig, 1907-09)

Inhalt

Eine Königin gerät in Zorn über ihre quengelige kleine Tochter und spricht den verhängnisvollen Satz:

Ich wollte, du wärst eine Rabe und flögest fort, dann hätte ich Ruhe.

Kaum gesprochen, wird das Kind ein(e) Rabe, fliegt fort und lebt viele Jahre im dunklen Wald. Nach langer Zeit kommt dorthin ein junger Mann, den die verwünschte Königstochter als ihren Erlöser erkennt. Sie erklärt ihm, was er tun muss, und es klingt eigentlich ganz einfach. Er soll in ein bestimmtes Haus gehen. Dort würde eine alte Frau sitzen, die ihm zu Essen und Trinken anbieten würde. Er dürfe aber nichts annehmen, sondern solle hinterm Haus auf sie warten. Um zwei Uhr nachmittags würde sie in einer vierspännigen Kutsche kommen und ihn holen. Nachdem sie alles erklärt hat, äußert sie Zweifel. Der Mann würde bestimmt etwas von der Alten annehmen und, anstatt sie erwarten, hinter dem Haus einschlafen.

Dies erweist sich als selbsterfüllende Prophezeiung. Als sie mit ihren vier weißen Pferden kommt, findet sie ihn schlafend und kann ihn nur mit Mühe wachrütteln. Er bittet um eine weitere Chance und verspricht, beim nächsten Mal keine Speisen von der alten Frau anzunehmen. Doch als die Königstochter am nächsten Tag mit vier braunen Pferden angefahren kommt, liegt er wieder schlafend hinterm Haus. Beim dritten und letzten Versuch, bei dem die Königstochter vier schwarzen Pferden kommt, schläft der Mann so fest, dass sie ihn nicht einmal wachrütteln kann. Sie steckt ihm einen Ring an, in dem ihr Name eingraviert ist. Außerdem hinterlässt sie ein Brot, etwas Fleisch und Wein sowie einen Brief. Darin steht beschrieben, wo er sie finden kann, nämlich im goldenen Schloss von Stromberg. Außerdem verrät der Brief, dass es sich bei den Speisen um Zaubergaben handelt, die niemals alle werden.

Auf der Suche nach dem goldenen Schloss gerät der junge Mann an einen Riesen, der ihn zunächst verspeisen möchte, dann aber mit dem Zauberbrot, dem Zauberfleisch und dem Zauberwein vorlieb nimmt. Der Riese findet schließlich auf einer seiner vielen Landkarten das goldene Schloss von Stromberg und trägt den jungen Mann ein Stück weit dorthin. Den Rest (nur noch hundert Stunden) muss der Mann alleine gehen. Als er sich dem Schloss nähert, erkennt er, dass es auf dem Gipfel eines gläsernen Berges steht. Oben kann er die Geliebte in ihrer Kutsche fahren sehen, doch der Glasberg erweist sich als unbesteigbar. Er baut sich am Fußes des Berges ein Hütte und lebt dort ein volles Jahr.

Eines Tages streiten sich vor seiner Hütte drei Riesen. Jeder von ihnen hat einen Zaubergegenstand gefunden, und nun können sie sich nicht einigen, welcher der wertvollste ist. Dem jungen Helden gelingt es, den dummen Riesen ihre Zaubergegenstände abzunehmen, die für sein eigenes Vorhaben vielversprechend sind: ein Stock, der jede Tür öffnet, wenn man damit darauf schlägt, ein Tarnmantel und ein Pferd, das den Glasberg hinaufsteigen kann. Oben angekommen und noch in den Tarnmantel gehüllt, begibt sich der Held schnurstracks zu seiner Prinzessin, die gerade bei Tisch sitzt, und lässt den Ring in ihr Glas fallen. In diesem Moment weiß die Prinzessin, ohne ihn zu sehen, dass ihr Erlöser gekommen ist.

Motive

Die Rabe ist eine Variante vom Märchen von der Schwanjungfrau, einem weiblichen Wesen aus der Anderswelt, das eine Verbindung mit einem irdischen Mann eingeht. Nachdem der Mann einen Tabubruch begeht (der Geliebte der Schwanjungfrau nimmt ihr das Federkleid weg, der Erwählte des Rabenmädchens nimmt verbotenerweise Essen und Trinken von der alten Frau an), entschwindet die Frau an einen fernen, unbekannten Ort, und der Mann begibt sich auf eine Suchwanderung, an deren Ende er scheinbar unlösbare Prüfungen bestehen muss (hier: einen Berg aus Glas besteigen).

Das Motiv der streitenden Riesen, denen der Held wegen ihrer Dummheit mühelos ihre Zaubergegenstände abnehmen kann, findet sich u.a. auch in Der König vom goldenen Berg.

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