Der alte Großvater und sein Enkel

Der alte Großvater und sein Enkel ist ein Märchen der Brüder Grimm (Kinder- und Hausmärchen, KHM 78). Die kurze Geschichte klingt nicht wie ein Märchen, sondern wie eine wahrhaftige Alltagsgeschichte, die sich so oder ähnlich wahrscheinlich tausendfach zugetragen hat, als die Familien noch in mehreren Generationen in einem Haus zusammenlebten. Trotz der Gewaltlosigkeit und der fehlenden Kommentierung des Geschehns schnürt es einem ein wenig Kehle zu, weil der kleine Enkel mit seinem unschuldigen Nachahmen nicht nur seinen Eltern, sondern auch uns einen Spiegel vors Gesicht hält:

Es war einmal ein steinalter Mann, dem waren die Augen trüb geworden, die Ohren taub, und die Knie zitterten ihm. Wenn er nun bei Tische saß und den Löffel kaum halten konnte, schüttete er Suppe auf das Tischtuch, und es floß ihm auch etwas wieder aus dem Mund. Sein Sohn und dessen Frau ekelten sich davor, und deswegen mußte sich der alte Großvater endlich hinter den Ofen in die Ecke setzen, und sie gaben ihm sein Essen in ein irdenes Schüsselchen und noch dazu nicht einmal satt; da sah er betrübt nach dem Tisch, und die Augen wurden ihm naß. Einmal auch konnten seine zitterigen Hände das Schüsselchen nicht fest halten, es fiel zur Erde und zerbrach. Die junge Frau schalt, er sagte aber nichts und seufzte nur. Da kaufte sie ihm ein hölzernes Schüsselchen für ein paar Heller, daraus mußte er nun essen. Wie sie da so sitzen, so trägt der kleine Enkel von vier Jahren auf der Erde kleine Brettlein zusammen. „Was machst du da?“ fragte der Vater. „Ich mache ein Tröglein,“ antwortete das Kind, „daraus sollen Vater und Mutter essen, wenn ich groß bin.“ Da sahen sich Mann und Frau eine Weile an, fiengen endlich an zu weinen, holten alsofort den alten Großvater an den Tisch und ließen ihn von nun an immer mit essen, sagten auch nichts wenn er ein wenig verschüttete.

Boy

Der alte Großvater und sein Enkel

Die Illustrationen sind einmal mehr von Arthur Rackham.