Tiere im Märchen: Adler, Greif und Falke

Der Adler gilt seit dem Altertum als König der Vögel und ist somit ein Symbol für Herrschaft und Macht. Sprachliche Bilder wie Adlerschwingen oder Adleraugen zeugen von der Bewunderung seiner Stärke und Überlegenheit. Sein scheinbar bis zum Himmel reichender Flug verbindet ihn zudem mit dem Göttlichen. Im germanischen Mythos sitzt oben im Weltenbaum ein Adler; der griechische Gott Zeus nahm die Gestalt eines Adlers an, um Ganymed zu entführen, und schickte einen Adler zur Bestrafung von Prometheus, der täglich an dessen nachwachsender Leber fraß. Der Adler verkörpert das Prinzip des Väterlich-Männlichen, wovon seine häufige Verwendung als Wappentier zeugt.

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Schneeweißchen und Rosenrot: Ein Adler greift sich den garstigen Zwerg. Illustration Warwick Goble (The Fairy Book, Dinah Craik, Macmillan, 1913)

In Märchen treten gelegentlich auch andere Raubvögel auf, vor allem der Falke, bei dem die »edlen« Eigenschaften betont sind (Falke als Begleiter des Helden), sowie gelegentlich der Greif, der ein furchteinflößender, bestrafender Raubvogel ist. Daneben spielen in den verschiedenen Märchentraditionen charakterstarke Zaubervögel auf, die mehr oder weniger ausgeprägt die Züge des Adlers aufweisen, so der Vogel Rogh im arabischen Märchen (etwa in Sindbad der Seefahrer, zweite und fünfte Reise) oder der russische Feuervogel.

Beispiele auf Märchenatlas

  • Fundevogel (Brüder Grimm). Ein kleines Kind wird von einem Adler geraubt, während seine Mutter im Wald schläft und es somit schutzlos ist. Es wird von einem Förster aufgenommen, der sich als Ersatzvater jedoch als schwach erweist. Der Adler scheint als unsichtbarer Schutzgeist über dem Findelkind und seiner Schwester zu schweben, indem er die Verwandlung der Kinder als Schutz vor der Hexe ermöglicht.
  • Schneeweißchen und Rosenrot (Brüder Grimm). Ein Adler packt den garstigen Zwerg, der jedoch von den beiden Mädchen gerettet wird. Der Adler ist hier als der König der Lüfte und des Lichts der Gegenspieler Zwerges, der im Reich der Dunkelheit, unter der Erde, herrscht.
  • Die Feder von Finist, dem hellen Falken (Afanassjew). Die Feder des hellen Falken verwandelt sich in einen Zarensohn, den die jüngste von drei Schwestern für sich als Bräutigam auserkoren hat.
  • Der Vogel Greif (Brüder Grimm). Der Greif ist hier ein übernatürliches, allwissendes Wesen, ähnlich dem Teufel in Der Teufel mit den drei goldenen Haaren.
  • Der Zaunkönig (Brüder Grimm). Die Vögel haben beschlossen, dass einer von ihnen König sein soll. Der Adler scheint dafür prädestiniert, doch dem kleinen Zaunkönig gelingt es durch einen Trick, sich vorzudrängeln.
  • Die Bücher der Chronika der drei Schwestern (Musäus) und Die drei Tierbrüder (Basile). Hier ist der Adler bzw. Falke ein verzauberter Königssohn, der sich durch Drohungen und mit Gewalt die Tochter eines anderen Königs zur Ehefrau macht, mit der er dann aber in seinem eigenen, isolierten Reich ein harmonisches Leben führt. Der Bruder der geraubten Königstochter bewirkt die Erlösung des Adlers (Falken) und die Herstellung der Harmonie der erweiterten Familie. Die gleiche Rolle spielen in beiden Märchen der Fisch als Herr über die Gewässer und der Bär bzw. der Hirsch als Herr des Waldes.

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