Märchen in Bildern: Rotkäppchen

Das Märchen von Rotkäppchen und dem bösen Wolf ist eine der bekanntesten europäischen Erzählungen überhaupt. Unüberschaubar viele Märchenillustrationen zeigen das kleine, niedliche Rotkäppchen, das sich mit seinem Körbchen auf den Weg zu seiner Großmutter begibt. Wie es im Wald den Wolf trifft, ihm arglos von der Großmutter erzählt, wie es Blumen pflückt und schließlich ihre Großmutter ganz verwandelt vorfindet.

Gustave Doré

Der französische Grafiker illustrierte 1863 Charles Perraults Märchensammlung. Diese enthält u.a. die französische Fassung von Rotkäppchen (Le petit chaperon rouge). Das erste Bild zeigt, wie bei vielen anderen Illustratoren auch, die Begegnung zwischen Rotkäppchen und dem Wolf im Wald.

Rotkäppchen und Wolf im Wald, Illustration von Gustave Dore

Das zweite Bild dagegen ist ungewöhnlich: Rotkäppchen und der Wolf liegen zusammen im Bett, eines Szene, die so in der deutschen Fassung nicht vorkommt, da der im Bett der Großmutter liegende Wolf das sich über ihn beugende Mädchen sofort packt und verschlingt.

Rotkäppchen und Wolf im Bett, Illustration von Gustave Dore

Carl Offterdinger

Die Märchenillustrationen von Carl Offterdinger (aus Mein erstes Märchenbuch, um 1885) zeigen Rotkäppchen, wie es man es aus (älteren) deutschen Märchenbüchern kennt: mit roter Kappe. Das erste beim Blumenpflücken, während der Wolf im Hintergrund zum Haus der Großmutter läuft:

Rotkäppchen pflückt im Wald Blumen. Illustration von Carl Offterdinger

das zweite am (aber eben nicht im) Bett der Großmutter. Als Postkartenmotive waren ähnliche Bilder von verschiedenen Künstlern in dieser Zeit weit verbreitet.

Rotkäppchen am Bett der Großmutter, Illustration von Carl Offterdinger

Walter Crane

Die Märchenillustrationen von Walter Crane, darunter auch zu Rotkäppchen (Little Red Riding Hood, 1875) stammen etwa aus der gleichen Zeit wie die von Offterdinger. Wir haben vier Bilder ausgewählt: Rotkäppchen wird von der Mutter losgeschickt …

Rotkäppchen wird von der Mutter zur Großmutter geschickt. Illustration von Walter Crane

… vergisst ihre Ermahnungen und pflückt Blumen.

Rotkäppchen pflückt Blumen im Wald, Illustration von Walter Crane

Bei der Großmutter angekommen, wundert sie sich ein bisschen …

Rotkäppchen am Bett der Grossmutter, Illustration von Walter Crane

… aber die Sache wäre schlecht ausgegangen, wenn nicht der Jäger zu Hilge gekommen wäre. In dieser Bilderbuch-Fassung wurde die Geschichte also so weit entschärft, dass der Wolf das Mädchen gar nicht verschlingt, sondern der Jäger vorher eingreift.

Der Jäger rettet Rotkäppchen und die Großmutter vor dem bösen Wolf. Illustration von Walter Crane

Crane war einer der bedeutendsten Vertreter der britischen »Arts and Crafts Movement« und schuf mit seinen Illustrationen einige der frühesten Beispiele für das, was in Großbritannien und den USA heute das »Golden Age of Illustration« genannt wird. Vergleicht man seine Bilder mit denen von Offterdinger, dann stellt man allerdings nicht nur stilistische Unterschiede fest. Bei Crane trägt das Mädchen kein rotes Käppchen, sondern ein rotes Cape (mit Kapuze), ist also sozusagen ein Rot-Cape-chen. Mit Cape anstatt Kappe wird Rotkäppchen von Illustratoren im angelsächsishen Raum typischerweise dargestellt.


Arthur Rackham

Ein bedeutender Illustrator des »Golden Age« war Arthur Rackham. Sein hoher Bekanntheitsgrad ist auch dem Umstand zu verdanken, dass er außergewöhnlich produktiv war. Auch hier bei Märchenatlas sind seine Bilder besonders oft vertreten. Man kann seine Bilder als Postkarten oder Poster kaufen, oder auch in Buchausgaben.

Rackhams Bilder wirken allgemein etwas düster, so auch das Rotkäppchen (The Fairy Tales of the Brothers Grimm, 1909). Im Vergleich mit den Mädchen auf den anderen Illustrationen wirkt es besonders verloren, unbehütet und bedroht.

Rotkäppchen trifft im Wald den Wolf. Illustration von Arthur Rackham

Doch signalisiert der Wolf im Bett der Großmutter mit Haube und Lesebrille: ist nur Märchen und am Ende wird alles gut!

Rotkäppchen am Bett der Großmutter, Illustration von Arthur Rackham

 Jessie Willcox Smith

Und noch ein angelsächsisches Rotkäppchen, diesmal von der US-Amerikanerin Jessie Willcox Smith (A Child’s Book of Stories, 1911). Ihr Rotkäppchen, wiederum mit Cape und in den beiden zentralen Situationen, wirkt sehr realistisch. Bei der ersten Begegnung mit dem Wolf blickt das Mädchen ausgesprochen skeptisch

Der Wolf will Rotkäppchen vom Weg abbringen. Illustration von Jessie Willcox Smith

… und auch am Bett der Großmutter wirkt sie eher vorsichtig als unbekümmert.

Rotkäppchen schaut ins Bett der Großmutter. Illustration von Jessie Willcox Smith

Warwick Goble

Das nächste Rotkäppchen stammt von Warwick Goble, einem ebenfalls dem Golden Age zuzurechnenden britischen Illustrator, der neben vielen anderen Büchern ein bei MacMillan, London, erschienenes Märchenbuch illustrierte (The Fairy Book, 1913).

Skeptischer Blick, dunkle Zöpfe, hübsch, aber nicht niedlich — mein persönliches Lieblings-Rotkäppchen, weil es im Vergleich mit den anderen wie ein echtes Mädchen und weniger wie eine Puppe aussieht.

Rotkäppchen trifft auf ihrem Weg zur Großmutter den Wolf. Illustration von Warwick Goble

Harry Clarke

Einen sehr eigenen Stil zeigt das Rotkäppchen-Bild (aus The Fairy Tales of Perrault, 1920) des Iren Harry Clarke (*1889, † 1931).

Rotkäppchen trifft auf ihrem Weg zur Großmutter den Wolf. Illustration von Harry Clarke

Hier ist alles Niedliche, Dralle und allzu Natürliche verschwunden. Der Wald wirkt trotz der kräftigen Farben künstlich. Rotkäppchen spaziert in spitzen Schuhen auf einem gepflasterten Weg und der Wolf scheint auf Zehenspitzen zu gehen. Clarke war ein bedeutender Vertreter des irischen Zweigs der Arts and Craft Bewegung und ist vor allem für seine Glasmalerei bekannt.

Stärkere Ähnlichkeiten als mit den anderen hier gezeigten Bildern haben Clarkes Märchenillustrationen mit denen von Künstlern wie Edmund Dulac und (vor allem) Kay Nielsen. Letztere können aus Gründen des Urheberrechts auf Märchenatlas nicht gezeigt werden.

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