Der Runenberg

Der Runenberg ist ein Kunstmärchen von Ludwig Tieck, Erstveröffentlichung 1804; in überarbeiteter Form Bestandteil der Sammlung Phantasus (1812).

Der Runenberg ähnelt in Stil und Aufbau dem Blonden Eckbert (ebenfalls von Tieck); beide gelten als typische Beispiele des romantischen Kunstmärchen. Der Held ist hin und hergerissen zwischen der Vertrautheit des Alltäglichen und einer ungestillten Sehnsucht, die ihn in die Waldeinsamkeit, ins Gebirge und in die Arme der übernatürlich schönen Bergkönigin treibt. In der kunstvoll verwobenen Handlung schieben sich Elemente des Wahnsinns und des Grauens immer stärker vor das friedliche Bild einer ländlichen Idylle, in der der Held am Ende ein Fremder ist. Neben einigen Werken von E.T.A. Hoffmann zählt der Runenberg zu den bedeutendsten Beiträgen der deutschen Literatur zur »Schwarzen Romantik«.

Inhalt

Ein junger Mann namens Christian hat sein Elternhaus verlassen, denn der ihm scheinbar vorgezeichnete Lebensweg — sein Vater ist Schlossgärtner — ist nicht der, den er bei freier Wahlmöglichkeit wählen würde. Auch der kurzzeitig verspürte Wunsch, Fischer zu werden, hält nicht lange vor; ebenso scheitert der Versuch einer Kaufmannslehre. Schließlich wird Christian zu einem Jäger in die Lehre gegeben, was seinem Naturell am ehesten zu entsprechen scheint. Tatsächlich zeigt sich Christian gelehrig, doch seine Neigung zur Melancholie und zur Mystifizierung der Natur wird durch das Leben als Jäger immer mehr verstärkt. Er sucht die Einsamkeit des Gebirges, wo er eines Tages eine Alraune findet. Als er sie gedankenlos herauszieht, hört er ihr sehnsuchtsvolles Klagen, das zur Prophezeiung für seinen Lebensweg zwischen dunkel Triebhaftem und lichter Rationalität wird.

Im Gebirge trifft Christian einen Mann, der ihm vom sagenhaften Runenberg, nicht weit von hier, erzählt. Unwiderstehlich zieht ihn seine Sehnsucht zu diesem Berg, auch wenn der dämonisch, schroff und abweisend erscheint. Durch ein Fenster beobachtet er eine singende Frau mit langen, dunklen Locken, makellos schön, doch igendwie »nicht von dieser Welt«. Sie entkleidet sich und hantiert mit einer juwelenbesetzten Tafel voller unverständlicher Zeichen, die sie schließlich dem Jüngling als Andenken überreicht. Christian hält die kostbare Tafel krampfhaft in den Händen, als er, halb im Schlaf, wieder ins Tal absteigt. Doch als er am Morgen erwacht, ist die Tafel fort, und alles scheint wie ein Traum.

In einem nahegelegenen Dorf findet er eine Anstellung als Gärtner bei einem reichen Pächter. Und nicht nur das. Der Pächter hat eine schöne Tochter, die blonde Elisabeth, die bald Christians Frau wird. Die beiden führen eine glückliche Ehe, haben viele Kinder und auch wirtschaftlichen Erfolg. In seinen Träumen sieht Christian manchmal noch die dunkle Königin auf dem Runenberg, doch lange Zeit scheint diese »Gegenwelt« beherrschbar. Einmal droht Gefahr, als Christian seinen Vater besuchen will und aus diesem Grund durch Gebirge geht. In dem Moment, als er den Lockungen der dunklen Welt nachgeben will, erscheint, wie aus dem Nichts, sein Vater und führt ihn noch einmal in die lichte Welt seiner Ehe mit Elisabeth zurück.

Doch die Versuchung wird stärker, als ein Fremder im Dorf erscheint und eine größere Menge Geld bei Christian zur sicheren Verwahrung hinterlässt. Der inzwischen bei ihm lebende Vater erkennt wohl, welche unheimliche Macht des Geld über Cristian hat. Er mahnt ihn zur Frömmigkeit und muss erkennen, dass es nicht die Gier nach noch mehr Besitz ist, die seinen Sohn umtreibt und von den Seinen entfernt.

Christian gesteht seinem Vater, dass er zwar mit Leichtigkeit über Jahre sein Innerstes verbergen und ein scheinbar normales Leben führen kann. Doch die Stimmen — die der Alraune und der Gesang der Bergkönigin — verstummen nie ganz. Als der Vater von der Alraune hört, weiß er (der Gärtner!), wie es wirklich um seinen Sohn steht. Während des Erntedankfestes entfernt sich Christian von der Gemeinde und sieht das Dorf von einem Hügel herab — so, wie er es vor Jahren gesehen hat, als er vom Runenberg kam und seine Frau ein schönes junges Mädchen war. Er meint, »ein hohes ewiges Glück« gegen etwas Vergängliches eingetauscht zu haben:

Wie habe ich mein Leben in einem Traume verloren!

Christian übergibt sich dem Wahn, der für ihn freilich Realität ist, und verlässt seine Familie. Er lebt mit einem alten Waldweib, das für ihn gleichzeitig der Fremde und die schöne Bergkönigin ist. Elisabeth heiratet erneut und bekommt weitere Kinder. Doch ihrer zweiten Ehe ist kein Glück beschieden. Mit der Wirtschaft geht es bergab und ihr neuer Ehemann wird darüber zum Trinker. Einmal noch kommt Christian in die Nähe des Dorfes und zeigt sich Elisabeth sowie seiner ältesten Tochter, die sich vor ihm fürchtet. In seinem Wahn zeigt er ihnen seine »Schätze«: einen Sack voller Kiesel, Quarzstücke und andere Steine. Danach ward er in der Gegend nie mehr gesehen.

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