Das kalte Herz

Das kalte Herz ist eine Märchenerzählung von Wilhelm Hauff, enthalten im Märchenalmanach auf das Jahr 1828, eingebettet in die Erzählung Das Wirtshaus im Spessart

Das kalte Herz, Märchen von Wilhelm Hauff, Illustration Carl Offterdinger
Das kalte Herz. Illustration Carl Offterdinger (Wilhelm Hauff: Mährchen für Söhne und Töchter gebildeter Stände, Rieger‘sche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart 1869)

»Das kalte Herz« ist auch der Titel eines 2011 erschienenen Sachbuchs des Münchner Psychoanalytikers Wolfgang Schmidbauer. Es trägt den Untertitel »Von der Macht des Geldes und dem Verlust der Gefühle«, was etwas pathetisch klingt, aber leider exakt das Hier und Jetzt charakterisiert. Auch wenn der Autor immer wieder Bezug auf die Märchenvorlage nimmt und daraus ausführlich zitiert, ist es sicher kein Fehler, das Hauffsche „Original“ in Ruhe und Gänze zu lesen. Umgekehrt gilt: Wer als Erwachsener Märchen mag (und das nicht nur wegen der bunten Fantasiewelt, sondern weil er glaubt, dass sie uns oft Grundsätzliches sagen), der sollte Schmidbauers Buch lesen.

Einordnung

Inhaltlich ist »Das kalte Herz« eine romantisch gefärbte Kritik am kaltherzigen Streben nach Status und Reichtum. Formal ist die Geschichte vom Kohlenmunk-Peter, dem Holländer-Michel und dem Glasmännchen (»Schatzhauser«) fast zu komplex (und wohl auch zu lang), um, wie allgemein üblich, als Kunstmärchen eingeordnet zu werden, weshalb sie hier auch als Märchenerzählung bezeichnet wird.

Hauff verbindet darin vertraute Märchenmotive und Sagen aus dem Schwarzwald mit einer realistischen Erzählung von einem jungen Mann, der sich in wirtschaftlich aufstrebender Umgebung als Verlierer sieht. Die Figur des Protagonisten Peter Munk bleibt nicht abstrakt, wie im (Volks-)märchen typisch, sondern ist lebendig gezeichnet, sodass der Leser entsprechend lebhaften Anteil an seinen Streben und seiner schuldhaften Verstrickung nimmt. Auch wenn Das kalte Herz erkennbar von der Romantik geprägt und auch zeitlich eher dort anzusiedeln ist, weist es mehr Gemeinsamkeiten mit märchenartigen Erzählungen und Novellen von Schriftstellern des Realismus auf (etwa Gottfried Keller oder Theodor Storm), als mit typischen Kunstmärchen der Romantik (etwa von Clemens Brentano).

Inhalt

Peter Munk, genannt Kohlenmunk-Peter, lebt im Schwarzwald und ist Köhler, wie sein früh verstorbener Vater und auch schon sein Großvater. Mit Fleiß und Anstand kann er den Lebensunterhalt für sich und seine Mutter verdienen. Trotzdem betrübt ihn die Aussicht, sein ganzes Leben im wenig angesehenen Stand eines Köhlers zu verbringen. Er beneidet all die Uhrenhersteller, Glasmacher und Holzherren (Flößer) seiner Heimat, und dieser Neid verdüstert ihm sein Leben. Er entsinnt sich der alten Sagen von Waldgeistern, insbesondere vom Glasmännlein und vom Holländer-Michel, denen angeblich der eine oder andere Schwarzwälder seinen Reichtum verdankt. Es fällt ihm sogar noch der Anfang des Spruches ein, den man in einem bestimmten Teil des Waldes, dem Tannenbühl, aufsagen muss, um das freundliche Glasmännlein herbeizurufen:

Schatzhauser im grünen Tannenwald,
bist schon viel hundert Jahre alt,
Dir gehört all Land, wo Tannen stehn …

Der vollständige Spruch will ihm zwar nicht einfallen, aber als er von seiner Mutter erfährt, dass nur Menschen das Glasmännlein rufen können, die an einem Sonntag zwischen elf und vierzehn Uhr geboren sind und er zu diesen Menschen gehört, wagt er das Abenteuer. Auf einem Hügel im Tannenbühl sagt er sein Sprüchlein auf, und undeutlich meint er, den Waldgeist gesehen zu haben. Vollständig zeigt sich das Glasmännlein aber nicht, was, so meint Peter, wohl an der Unvollständigkeit seines Spruches liegen mag. Nun wird es immer dunkler und unheimlicher im Wald und Peter bekommt Angst. Er bittet um Nachtquartier bei einer Köhlerfamilie, was ihm freundlich gewährt wird. Am Abend erzählt der alte Großvater vom Holländer-Michel. Der soll vor mehr als hundert Jahren in der Gegend gelebt haben und noch immer als Geist im Wald umgehen.

Demnach kam einst ein außergewöhnlich großer, kräftiger Mann in die Gegend und verdingte sich bei einem Holzherrn. Er schaffte für drei, und als er nach einiger Zeit bat, einmal mit den Flößern flussabwärts fahren zu dürfen, wo die Holzstämme verkauft wurden, mochte der Holzherr ihm diesen Wunsch nicht abschlagen, obwohl er den kräftigen Michel nicht für besonders geeignet für diese Art von Arbeit hielt. Doch er sollte sich irren. Nachdem die Flößer über Neckar und Rhein bis nach Köln gekommen waren, überredet sie der Michel, weiter zu fahren bis nach Holland, wo sich ein viel besserer Preis erzielen ließe. So geschieht es, und ganz besonders viel Geld scheffelt Michel, der zum Erstaunen der anderen oben im Schwarzwald ein paar außergewöhnlich dicke Stämme geschlagen und mitgenommen hat.

Seit dieser Begebenheit wird der große Mann Holländer-Michel genannt. Mit dem Geld der Holländer hält auch deren rüdes Benehmen Einzug im Schwarzwald. Man sitzt häufig im Wirtshaus und spielt, alte Werte wie Fleiß und Bescheidenheit gelten nicht mehr viel. Das Glück aber hat sich durch das Geld nicht vermehrt. Von einem reichen, hartherzigen Geizhals heißt es fortan in der Gegend, er habe sein Herz dem Holländer-Michel verkauft. Peter graust es vor dem Holländer-Michel, und er will mit ihm nichts zu tun haben.

Am nächsten Tag ruft Peter im Wald nach dem Glasmännchen, das trotz des nicht ganz vollständigen Spruchs erscheint. Er hat drei Wünsche frei, wobei der letzte an die Bedingung geknüpft ist, dass er nicht töricht sein darf. Peters erster Wunsch ist freilich sehr töricht, wofür ihn das Glasmännlein auch rügt. Er wünscht sich, immer soviel Geld in der Tasche zu haben wie Ezechiel und so gut tanzen zu können wie der Tanzbodenkönig, zwei Männer, die er aus dem Wirtshaus kennt und bewundert. Der zweite Wunsch ist schon besser: Peter möchte eine gutgehende Glashütte besitzen. Und Pferd und Wagen dazu. Das Glasmännlein meint zwar, er hätte sich besser Verstand dazu wünschen sollen, um die Glashütte auch gut zu führen. Aber beide Wünsche werden ihm gewährt. Als Peter sich den für die Glashütte nötigen Verstand wünschen will, lehnt das Glasmännlein ab: er solle sich den letzten Wunsch besser noch aufheben.

Die Wünsche gehen in Erfüllung, doch es ist nicht Peters Sache, eine Glashütte zu führen. Der anfängliche Reiz, als Eigentümer durch die Fabrik zu stolzieren, verflüchtigt sich schnell. Viel lieber hält sich Peter im Wirtshaus auf. Er ist nun nicht mehr der arme Kohlenmunk-Peter, sondern ein flotter Tänzer und ein Spieler mit immer gut gefüllter Tasche. Auf diese Weise geht es mit der Glashütte schnell bergab, und bald muss sich Peter vor dem Gerichtsvollzieher fürchten. Er baut nun vollständig auf seinen ersten Wunsch, wonach er immer so viel Geld in der Tasche hat, wie der reiche Ezechiel. Als der aber beim Spiel verliert — und zwar ausgerechnet gegen ihn selbst — hat auch Peter nichts mehr.

In seiner Not sucht Peter nun doch Hilfe beim Holländer-Michel. Der ist bereit ihm Geld zu geben, so viel er will — wenn ihm Peter dafür sein warmes, pochendes Herz gibt. Als Ersatz bekommt Peter einen kalten Stein in die Brust. Der Holländer-Michel tröstet ihn, es sei doch letzten Endes immer sein Herz gewesen, das ihm Schmerzen und Kummer bereitet habe. Mit dem steinernen Herz könne ihm das nicht mehr passieren. Außerdem sieht Peter in Gläsern die Herzen vieler erfolgreicher Bekannter. Unter anderem von Ezechiel und vom Tanzbodenkönig, vom Forstmeister und auch vom Gerichtsvollzieher.

Peter ist nun wieder wohlhabend, aber er hat jede menschliche Anteilnahme verloren. Kalt weist er Bettler ab und verstößt sogar seine alte Mutter. Als er seine dabei ertappt, wie sie verbotenerweise doch einem Bettler ein Almosen gibt, erschlägt er sie im Zorn. Da endlich begreift Peter, was mit ihm passiert ist, und bereut zutiefst. Der Bettler entpuppt sich als das Glasmännchen. Verzweifelt gibt Peter zunächst ihm die Schuld für sein Unglück. Doch bald sieht er ein, dass er selbst für die vermeintlichen Schicksalsschläge verantwortlich ist.

Da er noch einen letzten Wunsch frei hat, fleht das Glasmännchen an, ihm dabei zu helfen, sein Herz vom Holländer-Michel zurückzubekommen. Direkte Macht über den Michel hat das Glasmännchen nicht, doch es verrät Peter, was er selbst tun kann. Er solle zum Michel gehen und behaupten, der hätte ihm gar keinen Stein eingesetzt. Das tut Peter, woraufhin ihm der Michel als Beweis sein altes, echtes Herz wieder einsetzt. Mithilfe eines Glaskreuzes vom Glasmännchen kann Peter den bösen Michel bannen und fliehen. Weil Peter von Herzen bereut, erweckt das Glasmännchen Peters Frau wieder zum Leben und führt ihn auch wieder mit der verstoßenen Mutter zusammen. Geläutert lebt Peter fortan wieder bescheiden aber glücklich als Köhler.

Das könnte dich auch interessieren …