Die sieben Raben

Die sieben Raben ist ein Märchen der Brüder Grimm (Kinder- und Hausmärchen, KHM 25). Es gehört zum Märchentyp »Schwester befreit ihre in Vögel verwandelten Brüder« (ATU 451), der in zahlreichen Fassungen in europäischen Märchensammlungen verbreitet ist (u.a. Die sechs Schwäne, Die zwölf Brüder, beide Brüder Grimm; Die sieben Tauben, Basile). Grundelemente sind stets die Verwandlung der Brüder und die über Jahre andauernde Suche der Schwester. Das in diesem Zusammenhang häufig verwendete Motiv des Schweigeversprechens seitens der Schwester und damit verbunden ihre Verurteilung zum Feuertod fehlt im Märchen von den sieben Raben.

Illustration von Anne Anderson zu dem Märchen Die sieben Raben
Die sieben Raben. Illustration Anne Anderson (Grimm’s Fairy Tales, Collins, London, 1922)

Inhalt

Ein Ehepaar, das schon sieben Söhne hat, bekommt endlich das lang ersehnte Mädchen. Doch leider ist das Kind so schwach und kränklich, dass die Eltern schon fürchten, es könnte vor der Taufe sterben. Deshalb schickt der Vater den ältesten Sohn zum Brunnen, um Taufwasser zu holen. Die anderen laufen natürlich hinterher, und es gibt das übliche Drängeln und Schubsen. Dabei fällt der Krug in den Brunnen. Die Jungen trauen sich nicht heim, während der Vater in immer größerer Sorge um die kleine Tochter auf sie wartet. In seiner Angst flucht er:

»Ich wollte, daß die Jungen alle zu Raben würden!«

Kaum ausgesprochen wird die Verwünschung Wirklichkeit. In Raben verwandelt fliegen die Brüder davon. Die betrübten Eltern trösten sich mit dem einzig verbliebenen Kind, ihrer Tochter, die wider Erwarten gedeiht und mit jedem Tag schöner wird. Sie wächst auf in dem Glauben, keine Geschwister zu haben, doch irgendwann erfährt sie durch das Gerede der Leute, dass sie sieben ältere Brüder hat. Und auch, dass angeblich sie die Schuld an deren Unglück trägt.

Die Suche der Schwester nach ihren verzauberten Brüdern

Das Mädchen findet nach dieser Offenbarung keine Ruhe mehr. Getrieben von dem Gedanken, die Brüder erlösen zu müssen, macht sie sich auf den Weg sie zufinden, koste es was es wolle. Als Andenken an ihre Eltern nimmt sie einen Ring mit auf die Reise. Immer weiter geht sie, bis ans Ende der Welt. Zur Sonne, die so heiß ist, dass sie ihre Kinder verbrennt. Zum Mond, der ein Menschenfresser ist. Und zu den Sternen, die freundlich zu ihr sind. Der Morgenstern verrät ihr, dass sich ihre Brüder im Glasberg befinden. Außerdem gibt er ihr ein Knöchelchen, mit dem sie den Glasberg aufschließen kann.

Als das Mädchen den Glasberg gefunden hat, muss sie feststellen, dass sie den Schlüssel verloren hat. Als Ersatz hackt sie sich einen kleinen Finger ab und gelangt tatsächlich in den Glasberg hinein. Sie findet eine Tafel vor mit sieben Tellerchen und sieben Becherchen, und von jedem kostet sie ein wenig (vgl. Schneewittchen). In einen der Becher lässt sie den Ring fallen; dann versteckt sie sich. Als die Raben nach Haus kommen, fragen sie:

Wer hat von meinem Tellerchen gegessen? Wer hat aus meinem Becherchen getrunken?

Einer findet und erkennt den Ring. Das Mädchen tritt hervor, und die Raben sind erlöst.

Motive, Symbolik

Das Hauptmotiv des Märchens, die Erlösung der verwunschenen Brüdern durch ihre einzige Schwester, findet sich in einer ganzen Reihe von Märchen, darunter Basiles Märchen Die sieben Tauben, die Grimmschen Märchen Die sechs Schwäne und Die zwölf Brüder sowie Die wilden Schwäne von Hans Christian Andersen. Die Vögel stehen hier wohl für das Verdammtsein der Seelen, der weite Weg, den das Mädchen gehen muss, für die Schuld, die ihr bei der Geburt aufgebürdet wurde (siehe Suchwanderung). Der Glasberg steht einerseits für Unüberwindlichkeit, andererseits für Klarheit (durchsichtig): Das Mädchen weiß »glasklar«, was es zu tun hat, und durch das Abhacken eines Fingers ein Opfer.

Ein ähnliches Motiv ist die Suche einer Frau nach ihrem verwunschenen Ehemann, die sie ebenfalls »bis ans Ende der Welt« führt (u.a. Das singende, springende Löweneckerchen, East of the Sun and West of the Moon) und durch die sie ebenfalls eine Schuld (hier: Tabubruch) abträgt.

Viele Ähnlichkeiten hat das Märchen mit Die Rabe (KHM 93), wo ein kleines Mädchen von ihrer zornigen Mutter in einen Raben verwandelt wird. Dort ist es allerdings kein Geschwister, das als Erlöser auftritt, sondern der zukünftige Ehemann, doch die Motive (Tabubruch, Suchwanderung, Ring als Erkennungszeichen, Glasberg, Zaubergegenstände) sind die gleichen.

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