Die kluge Bauerntochter

Die kluge Bauerntochter ist ein Märchen der Brüder Grimm (Kinder- und Hausmärchen, KHM 94).

Illustration von Otto Ubbelohde zu dem Märchen Die kluge Bauerntochter
Die kluge Bauerntochter. Illustration Otto Ubbelohde (Kinder- und Hausmärchen, Turm-Verlag Leipzig, 1907-09)

Inhalt

Ein armer, landloser Bauer bekommt vom König einen Acker geschenkt, den er mit seiner einzigen Tochter zu bewirtschaften beginnt. Beim Umgraben finden das Mädchen einen goldenen Mörser. Der dankbare Bauer möchte den kostbaren Fund dem König übergeben, doch die Tochter warnt ihn. Wenn sie den Mörser gefunden haben, wird man von ihnen auch den dazugehörigen Stößel verlangen. Der Bauer hört nicht auf seine Tochter. Als er den Mörser bei Hofe abgibt, wird er prompt, wie von dem Mädchen vorhergesagt, ins Gefängnis geworfen.

Dort jammert er immerzu »hätte ich nur auf meine Tochter gehört«, was schließlich dem König gemeldet wird. Als dieser erfährt, dass das Mädchen das Geschehen vorhergesagt hat, möchte er die kluge Bauerntochter kennenlernen. Er lässt sie kommen und gibt ihr folgendes Rätsel auf:

»komm zu mir, nicht gekleidet, nicht nackend, nicht geritten, nicht gefahren, nicht in dem Weg, nicht außer dem Weg, und wenn du das kannst, will ich dich heirathen.«

Die Bauerntochter wickelt sich nackt in ein Fischernetz, bindet diesen an den Schwanz ihres Esels und lässt sich so zum König ziehen, wobei gerade ihr großer Zeh in die Fahrrinne reicht. Damit hat sie alle Bedingungen erfüllt und wird des Königs Gemahlin. Nach einigen Jahren kommt es zum Zerwürfnis. Zwei Bauern hatten um ein Fohlen gestritten, und der König hatte es nicht dem Besitzer der Pferde zugesprochen, sondern dem Besitzer der Ochsen, zwischen die sich das Fohlen zufällig gelegt hatte. Daraufhin hatte die Königin dem ungerecht behandelten Bauern den Tipp gegeben, sich mit einem Fischernetz auf die Straße zu stellen und so zu tun, als ob er fischte. Gefragt, was das soll, gab er zur Antwort, wenn zwei Ochsen ein Fohlen haben könnten, dann könne er auch auf der Straße Fische fangen.

Damit war die Unsinnigkeit des Königlichen Urteils offensichtlich. Der Bauer gesteht unter Prügel, vom wem er sein schlaues Argument hatte. Daraufhin wird die Königin verstoßen und zurück in ihre armselige Hütte geschickt. Sie darf aber mitnehmen, was ihr das Liebste ist. Die Königin gibt ihrem Gemahl einen Schlaftrunk und nimmt ihn mit. Als er Tage später in der Hütte aufwacht, erkennt der Königin endlich, dass seine Frau nicht nur ungewöhnlich klug ist, sondern ihn auch mehr als alles auf der Welt liebt.

Anmerkungen

Das Motiv des Mädchens von niederem Stande, das sich durch Scharfsinn und Urteilskraft in den Rang einer Königin erhebt, findet sich in vielen Märchenkulturen. Vieles deutet darauf hin, dass das Märchen orientalische / indische Wurzeln hat (etwa das Netz als Bekleidung), doch auch in nordischen, besonders schwedischen Märchen und Sagen findet sich das Grundmotiv, so etwa im Märchen vom Bauernmädchen Disa. Als Heldin steht das Bauernmädchen im Gegensatz zu anderen Mädchen (etwa Aschenputtel) aus dem einfachen Volk, die die Gunst eines Königssohns durch Schönheit und Demut gewinnen. Die Bauerntochter ist vielmehr, ungeachtet ihres formal niederen Standes, von vornherein dem König ebenbürtig, was sie nur noch beweisen muss.

Der Auftakt dieses Märchentyps besteht i.d.R. darin, dass das Mädchen durch seine außergewöhnliche Klugheit dem König auffällt. Dem schließen sich die drei Rätsel an, bei denen es meistens darum geht, etwas scheinbar Unmögliches doch möglich zu machen (nämlich einen Sachverhalt und gleichzeitig sein Gegenteil auszuschließen); dies ist der Hauptteil des Märchens. Nachdem das Mädchen diese Prüfung bestanden hat, wird sie die Frau des Königs. Später stellt sie sich gegen ein (Gerichts-)Urteil ihres Ehemanns, indem sie die Logik seiner Entscheidung ad absurdum führt. Außer dem Hauptteil können Bestandteile fehlen oder an eine andere Position im Handlungsablauf treten.

Ähnliche Märchen

Aus Südosteuropa ist zum Beispiel folgendes Märchen überliefert (Das kluge Mädchen wird Zarin, enthalten in »Balkanmärchen«, Hg. August Leskien, Verlag Eugen Diederichs, 1915): Der unverheiratete Zar verkündet, dass er denjenigen als Sohn annehmen wird, dem es gelingt, einen Stein zu schlachten. Doch es ist ein junges Mädchen, dass, als Bursche verkleidet, das Unmögliche schafft, indem sie die logische Unsinnigkeit der Aufgabe an den Zaren zurück spielt: Sie bittet den Zar, dem Stein zunächst eine Seele zu geben (ihn also lebendig zu machen), damit sie ihn schlachten könne.

Der Zar bietet ihr nun an, sie als Sohn anzunehmen, woraufhin sie zugibt ein Mädchen zu sein. Er stellt ihr nun drei Rätsel, ähnlich wie im Grimmschen Märchen. Sie soll geritten kommen und doch nicht reiten. Sie soll, wenn sie ankommt, von allen empfangen und doch nicht empfangen werden. Und sie soll ihm ein Geschenk bringen und doch nicht bringen. Das Mädchen löst die erste Aufgabe, indem sie rittlings auf einer Ziege kommt. Für die zweite lässt sie bei ihrer Ankunft einige mitgebrachte Hasen frei. Die Leute, die sie empfangen wollen, eilen ihnen sofort nach. Die dritte Aufgabe löst sie, indem sie dem Zaren zwei Tauben schenkt, die beim Übergeben davon fliegen.

Noch größere Ähnlichkeit mit Grimms kluger Bauerntochter weist das aus Kreta stammende Märchen Die kluge Tochter des Armen auf. (Enthalten in Neugriechische Märchen, Hg. Paul Kretzschmer, Verlag Eugen Diederichs, 1919.) Dort lobt der König am Anfang einen Korb voller Geld für denjenigen aus, der ihm drei Rätsel löst: zwei stehende Dinge, zwei laufende und zwei, die sich nicht gleichen. Das Mädchen weiß sofort die Antwort. Die stehenden Dinge sind Himmel und Erde, die laufenden Sonne und Mond, und die zwei, die sich nicht gleichen, sind die Nacht und der Tag.

Der König heiratet sie, doch muss sie versprechen, sich niemals in seine Geschäfte einzumischen. Dieses Versprechen bricht sie, als der König drei Bauern zum Tode verurteilt, weil eines ihrer Pferde nach einem königlichen Pferd getreten und es dabei getötet hat. Sie führt die Logik seiner Argumentation ad absurdum, indem sie ihn dazu bringt, seine Machtlosigkeit gegenüber einem Meerungeheuer zuzugeben. Wie sollten dann also drei einfache Bauern Gewalt über ein durchgehendes Pferd haben? Der König zieht also sein Todesurteil zurück. Seine Frau muss das Schloss verlassen und darf, wie im Grimmschen Märchen etwas Schönes und Kostbares mitnehmen.

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