Legenden von Rübezahl (II)

In diesem Artikel geht es um die Zweite Legende von Rübezahl aus der Sammlung von Johann Karl August Musäus, die neben den fünf Geschichten von Rübezahl weitere Märchen enthält (»Volksmärchen der Deutschen«, 1783). In der ersten Legende verliebt sich Rübezahl in die Königstochter Emma und entführt sie in sein unterirdisches Reich. Doch so sehr er sie auch verwöhnt — es gelingt ihm nicht, sie für sich zu gewinnen. Emma entkommt ihn durch List und sorgt nebenbei dafür, dass er von nun an unter dem Spottnamen Rübezahl bekannt ist. Nach dieser Erfahrung ist Rübezahl nicht gut auf das Menschengeschlecht zu sprechen und reagiert allergisch, wenn sich jemand über ihn lustig macht. Als erster bekommt dies ein junger Schneider in Hirschfeld zu spüren.

Allgemeines zur Sagengestalt Rübezahl finden Sie hier.

Rübezahl nimmt die Gestalt eines Schneiders an und verprügelt einen Juden. Illustration von Ludwig Richter
Zweite Legende von Rübezahl, Illustration Ludwig Richter (Volksmährchen der Deutschen, Verlag Julius Klee, Leipzig, 1842)

Zweite Legende: Rübezahl und der Schneider

Nach der Enttäuschung mit Emma hat Rübezahl erst einmal genug von den Menschen und zieht sich in sein unterirdisches Reich zurück. Als er sich nach neunhundertneunundneunzig Jahren erstmals doch wieder an die Erdoberfläche wagt, kommt die schmerzliche Erinnerung an Emma wieder hoch. Ebenso der Groll über den Spottnamen Rübezahl, den er seit dieser Affäre trägt. Zur gleichen Zeit durchwandern drei junge Handwerksburschen das Riesengebirge und erzählen sich dabei die alte Geschichte vom gefoppten Berggeist, der die Rüben zählt. In seiner ohnehin schlechten Gemütsverfassung beschließt Rübezahl, sich an dem Schneiderlein zu rächen, das sich zur Erheiterung seiner Begleiter über ihn lustig macht. Nichts fällt Rübezahl leichter, als frechen Menschenkindern übel mitzuspielen (wenn er Lust dazu hat). Denn er besitzt die Gabe, sich in jeder gewünschte menschliche Gestalt sowie auch in Tiere und Pflanzen zu verwandeln.

In diesem Fall nimmt Rübezahl die Gestalt des Schneiders an. In diesem Aufzug überfällt er im Wald einen ebenfalls geschäftlich reisenden Juden, verprügelt ihn und nimmt ihm seinen Geldbeutel ab. Dann lässt er ihn halbtot im Gebüsch liegen, um wenig später in Gestalt eines ehrbaren Bürgers wiederzukommen. In diesem Aufzug rettet er den Juden und begleitet ihn in den nahegelegenen Ort Hirschfeld, direkt vor die Tür der dortigen Herberge. Als er eintritt, traut der Jude seinen Augen nicht, denn in der Schankstube sitzt unter anderem völlig arglos sein Peiniger.

Der Ausgeraubte schleicht sich hinaus und erstattet Anzeige. Der Fall wird vom Richter an Ort und Stelle geprüft. Nun ist es der Schneider, der seinen Augen nicht traut. Denn in seiner Manteltasche findet man tatsächlich den Geldbeutel des Juden. Ein klarer Fall also, und der Schneider wird, ehe er sich’s versieht, zum Tod am Galgen verurteilt. Sein einziges Glück im Unglück ist, dass es am Ort einen eifrigen Mönch gibt, der sich in den Kopf gesetzt hat, alle Delinquenten, die von Hirschfeld aus den Weg ins Jenseits antreten, vorher noch zu bekehren. Da der Schneider ein schwerer Fall zu sein scheint, bedarf es hierzu drei Tage.

Rübezahl möchte der Hinrichtung gern beiwohnen und wartet derweil im Wald. Dort beobachtet er, zunächst heimlich, ein schönes trauriges Mädchen. Trotz der Sache mit Emma rühren ihre Tränen sein Herz. Deshalb macht er eine Ausnahme von seinem Prinzip, Menschen grundsätzlich zu meiden, und spricht sie in Gestalt eines braven Bürgers an. Der Grund für die Verzweiflung des Mädchens ist der Schneider. Sie war seine Liebste und gibt sich die Schuld für das von ihm begangene Verbrechen, welches er in Kürze am Galgen wird büßen müssen. Denn sie hatte ihm versprochen, die drei Jahre auf ihn zu warten, die er als wandernder Geselle fern von der Heimat sein würde. Als er dann aber zurückkam, verlangte sie von ihm aus purem Eigensinn, dass er zunächst Gut und Geld erlangen müsse, bevor sie in heiraten könne. Und da nun der Schneider offenbar einen Juden ausgeraubt hat, scheint der Fall klar zu sein.

Diese Geschichte gibt Rübezahl zu denken, und er verspricht dem Mädchen, ihren Liebsten aus den Klauen der Justiz zu befreien. Dazu nimmt er die Gestalt des eifrigen Mönchs an und begibt sich zum Schneider in den Kerker. Der beteuert ihm gegenüber, dass er sich vor der Hölle nicht fürchtet (da er tatsächlich reinen Herzens ist), wohl aber vorm Fegefeuer, das ihm der Mönch bei seinen Bekehrungsversuchen eindringlich geschildert hat. Zu seinem Erstaunen lenkt der Mönch bei seinem letzten Besuch das Gespräch auf Klärchen, seine Liebste. Was die Religion betrifft, sagt er dagegen recht merkwürdige Dinge.

Es kommt aber noch besser, denn der Mönch (bzw. Rübezahl) eröffnet dem Schneider, dass er nicht sterben müsse, weil er unschuldig sei. Dann tauscht er mit ihm seine Sachen, schließt die Kerkertür auf und entlässt den Schneider in die Freiheit. Zu Klärchen. Am Galgen baumelt anderntags Rübezahl, was dem aber (da er ein Geist ist) nicht schadet. Seiner Neigung, die Menschen zu erschrecken, frönt er dadurch, dass er über Gebühr lange am Galgen zappelt. Er beginnt sogar noch einmal nach Stunden mit Zappeln, wobei er zu allem Überfluss auch noch Grimassen schneidet. Als die Beamten dem Treiben ein Ende setzen wollen, finden sie am Galgen eine Strohpuppe.

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