Marienkind

Marienkind ist ein Märchen der Brüder Grimm (Kinder- und Hausmärchen, KHM 2). Ein ähnliches Märchen ist im Pentameron von Giambattista Basile enthalten (Das Ziegengesicht, achte Erzählung des ersten Tages). Während es dort jedoch schlicht um Undankbarkeit der Heldin gegenüber ihrer Ziehmutter geht, hat die Geschichte vom Marienkind eine christliche Deutung erfahren. Nun ist die Ziehmutter keine Fee mehr, sondern die Jungfrau Maria, das Vergehen des Mädchens ist ein Tabubruch, die Zahl Zwölf, die bei Basile als Anzahl der Geschwister vorkommt, ist nun die Zahl der Apostel bzw. der Türen zum Himmelreich. Bei Basile genügt die durch Bestrafung herbeigeführte Einsicht, während im Grimmschen Märchen das Prinzip der Erlösung am dramatischen Ende steht.

Marienkind, Illustration von Heinrich Lefler, Joseph Urban
Marienkind (Einzelausgabe der Reihe Scholz‘ Künstler-Bilderbücher, Bd. 2. Illustriert von Heinrich Lefler und Joseph Urban, Mainz 1905)

Inhalt

Ein armer Holzfäller weiß nicht mehr, wie er sein einziges Kind, ein kleines Mädchen von drei Jahren, ernähren soll. Im Wald begegnet ihm eine schöne, große Frau von leuchtender Gestalt, die ihm sagt, sie sei die Jungfrau Maria. Er solle ihr sein Kind geben, sie werde für das Mädchen wie eine Mutter sorgen. Der Mann bringt ihr sein Kind und sie nimmt es mit in den Himmel. Als es vierzehn Jahre alt ist, muss die Jungfrau Maria eine große Reise machen. Sie vertraut dem Mädchen die Schlüssel zu den dreizehn Türen des Himmelreichs an und belehrt sie, dass sie zwölf Türen öffnen und alles betrachten darf – die dreizehnte aber ist tabu.

Das Mädchen öffnet jeden Tag eine Tür und sieht in den dahinter liegenden Himmelsreichen die zwölf Apostel. Sie kann ihre Neugier nicht bezwingen, auch die dreizehnte zu öffnen: hinter dieser sieht sie in Feuer und Glanz die Dreieinigkeit. Sie berührt diese kurz mit dem Finger, der ganz golden wird. Als die Jungfrau Maria zurückkehrt, fragt sie das Mädchen mehrmals, ob sie auch gewisss die verbotene Tür nicht geöffnet habe. Das Mädchen gibt ihre Tat nicht zu, verrät sich aber durch ihren goldenen Finger und wird zur Strafe von der Jungfrau Maria zur Erde zurückgeschickt. Dort versteckt sie sich in einer Baumhöhle, ernährt sich von Wurzeln und Beeren, und bald zerfallen ihre zerlumpten Kleider. Sie hat nun nur noch ihr langes Haar, in das sie sich kleidet wie in einen Mantel.

Eines Tages findet sie ein Prinz, der das stumme Mädchen mit auf sein Schloss nimmt und sie heiratet. Nach der Geburt ihres ersten Sohnes erschient die Jungfrau Maria und fragt sie noch einmal, ob sie die verbotene Tür geöffnet habe. Wieder leugnet die junge Frau das Vergehen, worauf die Jungfrau Maria ihr das Kind weg nimmt. Das wiederholt sich an der Wiege des zweiten Sohns und des dritten Kindes, einer Tochter. Schließlich kommt der König nicht mehr gegen das Gerücht an, seine junge Frau habe ihre eigenen Kinder gefressen. Da sie stumm ist, kann sie sich nicht verteidigen und wird auf den Scheiterhaufen gestellt. Als sie ihr Ende nahen sieht, wünscht sie sich von Herzen, sie könnte zuvor der Jungfrau Maria ihren Vertrauensbruch gestehen. Daraufhin erscheint Maria mit den Kindern und löscht das Feuer.

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