Die Lebenszeit

Die Lebenszeit ist ein Märchen der Brüder Grimm (Kinder- und Hausmärchen, ab 4. Auflage, KHM 176); kurzer Schwank. Es bietet eine scherzhafte, aber durchaus plausible Erklärung für die verschiedenen Phasen der dem Menschen typischerweise zubemessenen Lebenszeit.

Inhalt

Nachdem Gott alle Tiere und auch den Menschen erschaffen hat, muss er zum Schluss noch für jeden die angemessene Lebenszeit bestimmen. Als erstes kommt der Esel und fragt: »Herr, wie lange soll ich leben«? Gott will ihm dreißig Jahre geben, doch das ist dem Esel zu lange. Zu mühselig ist sein Dasein — für andere tagein, tagaus schwere Lasten schleppen, und als Dank nur Tritte und Schläge. Gott hat ein Einsehen und erlässt dem Esel achtzehn Jahre. Dann kommt der Hund, der es mit seinem Hundeleben zwar ein bisschen besser getroffen hat als der Esel, doch die dreißig Jahre, die Gott für ihn vorgesehen hat, sind auch ihm zu lang. Wenn er erst seine Zähne verloren hat, nicht mehr beißen kann und somit unnütz ist, wird ihm das Leben sauer werden. Er bittet um Nachlass, und Gott kürzt seine Lebenszeit um zwölf Jahre. Als nächstes kommt der Narr. Auch ihm sind die dreißig Jahre zu viel, die Gott im bietet, denn nach ein paar Jahren wird keiner mehr über seine kindischen, dummen Reden lachen. Gott erbarmt sich und erlässt dem Narren zehn Jahre.

Illustration von Otto Ubbelohde zu dem Märchen Die Lebenszeit von den Brüdern Grimm
Die Lebenszeit. Illustration Otto Ubbelohde (Kinder- und Hausmärchen gesammelt durch die Brüder Grimm, Turm-Verlag Leipzig, 1907-09)

Dann kommt der Mensch. »Was, nur dreißig Jahre«? — ist seine Reaktion, als Gott seine Lebenszeit auf dreißig Jahre bemessen will. Nach dreißig Jahren wäre er doch gerade eben fertig damit, sein Haus zu bauen. Er würde es gerade noch erleben, die Bäume blühen zu sehen, die er gepflanzt hat — und dann soll er sterben, ohne die Früchte zu genießen, die dank seiner Hände Arbeit gewachsen sind? Na gut, denkt sich Gott. Er hat ja noch die achtzehn Jahre des Esels, die zwölf Hundejahre und die zehn Jahre des Narren übrig. Die bekommt der Mensch, da er es nun einmal wünscht, obendrauf. Und so hat der Mensch insgesamt siebzig Jahre: die ersten dreißig, die ihm als Mensch ursprünglich zugedacht waren, gefolgt von achtzehn Eseljahren voller Plackerei. Dann kommen die zehn Hundejahre, in denen er knurrt, aber keine Zähne mehr hat zum Beißen. Und zum Schluss zehn Jahre als Narr.

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