Die drei Schlangenblätter

Die drei Schlangenblätter ist ein Märchen der Brüder Grimm, enthalten ab der 2. Auflage in den Kinder- und Hausmärchen, KHM 16. Das im Titel anklingende Motiv der Schlange, die ihre getötete Gefährtin durch Auflegen dreier Blätter wieder zum Leben erweckt, ist aus der griechischen Sage von dem Knaben Glaukos bekannt, der von dem Seher Polyidos gerettet wird. Es wird im vorliegenden Märchen mit der Geschichte einer ungesunden Paarbeziehung verbunden, in der der Held anfangs »lebendig begraben« ist und die im weiteren Verlauf durch die Gewalttat der Partnerin aufgehoben wird.

Illustration von Otto Ubbelohde zu dem Märchen Die drei Schlangenblätter von den Brüdern Grimm
Die drei Schlangenblätter. Illustration Otto Ubbelohde (Kinder- und Hausmärchen gesammelt durch die Brüder Grimm, Turm-Verlag Leipzig, 1907-09)

Inhalt

Ein armer Mann kann seinen einzigen Sohn nicht mehr ernähren und schickt ihn deshalb zum Militär. In der Schlacht erweist dieser sich als großer Held und Retter des Königreichs. So kommt es, dass der junge Mann aus ärmlichen Verhältnissen mit Ehrungen und Reichtümern belohnt wird. Schließlich darf er sogar des Königs schöne Tochter heiraten. Die ist allerdings »sehr wunderlich«, verlangt sie doch als Bedingung für ihr Jawort, dass ihr künftiger Ehemann sich lebendig mit ihr begraben lässt, sollte sie vor ihm sterben; umgekehrt verspricht sie ihm dasselbe. Natürlich ist diese ungewöhnliche Forderung der Grund dafür, dass die schöne Prinzessin überhaupt noch ledig ist. Doch den ehemaligen Soldaten, der dem Tod schon oft nah war, kann die Aussicht nicht schrecken. Also wird in großer Pracht Hochzeit gefeiert, und eine Zeit lang ist das Paar glücklich miteinander.

Dann wird die junge Königin krank und stirbt. Dem jungen Witwer graust es bei dem Gedanken an sein Versprechen. Doch es bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich mit der Leiche seiner Frau im königlichen Gewölbe einschließen zu lassen. Als Proviant für seine Reise ins Jenseits hat er vier Brote und vier Flaschen Wein dabei; außerdem erhellen vier Kerzen die trostlose Szenerie. Todgeweiht beobachtet er, wie eine Schlange sich dem Leichnam nähert. Um zu verhindern, dass sie an diesem zu nagen beginnt, zieht er sein Schwert und haut die Schlange in Stücke.

Daraufhin taucht eine zweite Schlange auf, sieht die Überreste der ersten Schlange, macht kehrt und kommt mit drei Blättern im Maul zurück. Durch Auflegen der Blätter macht sie die zerstückelte Schlange wieder heil und lebendig; dann verschwinden die beiden zusammen. Der junge König fasst neuen Mut und probiert, ob die heilkräftigen Schlangenblätter nicht auch seine Frau wieder lebendig machen könnten. Das funktioniert tatsächlich; die beiden machen sich bei den Wachposten vor der Tür bemerkbar und treten frisch und rosig aus der Gruft. Die Schlangenblätter gibt der junge König seinem treuen Diener zur Verwahrung.

Doch es wird nicht mehr, wie es vorher war; die Liebe der Frau zu ihrem Mann ist gestorben, auch wenn sie selbst von den Toten zurückgekehrt ist. Eines Tages beschließt der junge König, seinen alten Vater zu besuchen, wozu es nötig ist, mit dem Schiff übers Meer zu fahren. Seine Frau begleitet ihn und bändelt während der Fahrt mit dem Schiffer an. Während der junge König schläft, wird er von der Frau und dem Schiffer gepackt und über Bord geworfen. Die Frau beschwatzt den Schiffer, mit ihr an den Hof des Vaters zurückzukehren – sie würde dem alten Herrn schon glaubhaft machen, dass ihr Gemahl auf der Reise verstorben sei und der Schiffer sich vorbildlich um sie gekümmert habe. Dann sollte ihrer Vermählung nichts mehr im Wege stehen.

Doch die Gattenmörderin hat nicht mit der Zauberkraft der Schlangenblätter gerechnet. Der treue Diener ihres rechtmäßigen Ehemanns hat die böse Tat beobachtet und den Ertrunkenen mithilfe der Blätter ins Leben zurückgeholt. In einem Beiboot sind sie, so schnell sie konnten, nach Hause gerudert und noch vor der Königin und dem Schiffer beim alten König eingetroffen. Nachdem nun die Königstochter dem Vater ihr Lügenmärchen vom plötzlichen Ableben ihres Gatten erzählt hat, öffnet der eine Tür, aus der, frisch und lebendig, der angeblich Verstorbene heraustritt. Der Lüge und des Mordes überführt, muss die Königin zusammen mit dem Schiffer in ein löchriges Boot steigen. Beide ertrinken im Meer.

Motive

Obwohl die Schlange im Titel des Märchens vorkommt, spielt sie eher eine Nebenrolle. Als Symboltier für Weisheit im Allgemeinen und Heilkunst im Besonderen gibt sie dem Helden das Zaubermittel (die Schlangenblätter) an die Hand, mit dem dieser nicht nur seine tote Frau, sondern auch sein eigenes Leben retten kann. Doch tiefe Harmonie, wie sie die beiden wiedervereinten Schlangen verkörpern, ist dem Helden nicht vergönnt. Die Beziehung zu seiner Frau ist unheilbar krank, wie die weitere Handlung zeigt.

Ähnlich wie die Rettung eines Todgeweihten mithilfe eines Zaubermittels (siehe z.B. Gevatter Tod, Das Wasser des Lebens, Der Vogel Greif) tritt auch die Steigerung dieses Motivs, die Wiederbelebung eines Verstorbenen, gelegentlich als Märchenmotiv auf. Immer stehen der Tote und sein Retter in einer engen, oft familiären Beziehung; als Todesarten kommen besonders oft das Versteinern und das Kopf-Abschlagen bzw. Zerstückeln vor.

In dem Märchen Der treue Johannes folgen beide Varianten unmittelbar aufeinander. Zuerst wird der treue Diener des Helden versteinert, kann aber ins Leben zurückgeholt werden, indem der Held seine Kinder opfert. Nach extremen diesem Treuebeweis werden auch die Kinder wieder lebendig, indem ihnen die abgeschlagenen Köpfe wieder aufgesetzt werden. In dem Horror-Märchen Fitchers Vogel zerstückelt ein Unhold junge Mädchen, doch eine kann entkommen und die Körperteile ihrer Schwestern so zusammenfügen, dass diese wieder lebendig werden. In dem Märchen Von dem Machandelboom tötet eine Frau ihren Stiefsohn – sie trennt seinen Kopf ab, indem sie den Deckel einer Truhe fallen lässt, während er sich darüber beugt. Seine Stiefschwester kann sich mit seinem Tod nicht abfinden und pflegt hingebungsvoll sein Grab, bis er schließlich wieder lebendig wird.

In den genannten Märchen ist es immer eine Gewalttat, die zum Tod des später Wiederbelebten führt. Dagegen stirbt die Frau im vorliegenden Märchen an einer Krankheit. Dennoch ist durch das Versprechen, der Frau lebendig ins Grab zu folgen, – als Bedingung für die Ehe – die Gewalt in dieser Beziehung von vornherein angelegt. Als »ortsüblicher Brauch« tritt das Folgen des überlebenden Partners ins Grab in Sindbads vierter Reise auf, in welcher der Abenteurer sich auf eine entlegene Insel verirrt und eine Eingeborene heiratet.

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