Der treue Johannes

Der treue Johannes ist ein Märchen der Brüder Grimm (Kinder- und Hausmärchen, ab 2. Auflage, KHM 6). Es ähnelt stark Giambattista Basiles Märchen Der Rabe. Bei der folgenden Zusammenfassung wird besonders auf die abweichenden Elemente eingegangen.

Illustration von Walter Crane zu dem Märchen Der treue Johannes
Der treue Johannes. Illustration Walter Crane (Household Stories, Macmillan, London, 1882)

Inhalt

Ein alter König liegt im Sterben und ruft seinen treuen Diener Johannes1 zu sich. Er bittet ihn, sich um seinen Sohn zu kümmern, insbesondere ihm sein Erbe zu zeigen, mit Ausnahme einer bestimmten Kammer, in dem sich das Bildnis2 der Königstochter3 vom goldenen Dach befindet. Johannes gibt sein Versprechen, doch als der Vater tot ist, kann er nicht verhindern, dass der Thronfolger das Bildnis sieht und sich auf der Stelle in die unbekannte Schöne verliebt.

Also begleitet4 er ihn auf einer Schiffsreise, um nach dieser Frau zu suchen. In einer fernen, fremden Stadt werden sie fündig. Verkleidet als Kaufleute locken sie die Schöne an Bord, wo angeblich die besonders kostbaren Stücke ihrer Handelsware liegen. Während sie darin stöbert, legt das Schiff ab. Auf See gibt sich der junge König als solcher zu erkennen, was die entführte Jungfrau sofort gnädig stimmt.

Derweil belauscht draußen der treue Diener Johannes das Gespräch dreier Raben5, welches nichts Gutes verheißt. So erfährt er, dass ihnen bei ihrer Ankunft ein Pferd entgegen galoppieren wird. Der König würde sich in den Sattel schwingen, doch anstatt ihn zum Schloss zu bringen, würde das Pferd auf nimmer Wiedersehen mit ihm durch die Lüfte entschwinden. Es sei denn, es findet sich jemand, der schnell aufsitzt, bevor der König dazu kommt, und mit dem im Halfter steckenden Gewehr das Pferd erschießt. Und er darf nicht verraten, was es mit dem Pferd auf sich hat, sonst würde er zu Stein.6 Selbst wenn diese Hürde überwunden würde, könnte der junge König seine Braut nicht ehelichen. Denn auf ihn wartet ein Hochzeitshemd, scheinbar aus Gold und Silber, in Wirklichkeit jedoch aus Pech und Schwefel, das ihn verbrennen wird, wenn er es anzieht. Es sei denn, jemand zieht einen Handschuh über und wirft es ins Feuer7 Und sollte auch dieses Hindernis überwunden werden, würde die Braut beim Hochzeitstanz tot umfallen. Es sei denn, jemand wagt es, der am Boden liegenden Braut drei Blutstropfen aus der Brust zu saugen8.

Nach ihrer Ankunft geschieht alles wie von den Raben vorhergesagt. Der treue Johannes rettet den König, indem er das Pferd erschießt. Er rettet ihn ein zweites Mal, indem er das Hemd ins Feuer wirft. Schließlich saugt er der Braut die drei Blutstropfen aus der Brust, was dem König dann doch zu dreist wird. Er wird zum Tode am Galgen verurteilt, und wie es Brauch ist, werden ihm noch einige letzte Worte gestattet. So offenbart er die Gründe für sein sonderliches Betragen und wird auf der Stelle zu Stein.

Den König reut es, den treuen Diener verloren zu haben und noch dazu Schuld an dessen Tod zu sein. Der Stein bekommt einen Ehrenplatz in seinem Schlafgemach. Bald bekommt das Königspaar zwei Jungen, und als die Frau einmal allein in die Kirche gegangen ist und der König in Richtung des Steins seufzt: ach, könnt ich dich wieder lebendig machen, beginnt der Stein zu reden. Er könne sein Leben wieder erlangen, wenn der König dafür das seiner Kinder opfere. Der König zögert nicht dies zu tun. Doch der wieder lebendige Johannes setzt den enthaupteten Kindern ihre Köpfe wieder auf und macht auch sie wieder lebendig.

Als die Frau zurückkommt, testet der König sie, indem er erzählt, der treue Johannes könne wieder lebendig werden, wenn dafür ihre Kinder geopfert werden. Auch sie ist dazu bereit,9 was eine starke Überhöhung des Prinzip der Treue darstellt, da die zwischen Johannes und ihrem Mann bestehende Verbindung auch auf sie ausgedehnt wird und dabei ihre Mutterliebe übertrifft. Wie bei Basile sind am Ende alle glücklich vereint.

  1. In Basiles Märchen ist der Helfer nicht der Diener, sondern der Bruder des jungen Königs. Die Bindung entsteht nicht durch einen Schwur am Sterbebett, sondern sie besteht als natürliche Bruderbindung.
  2. Bei Basile sieht der junge König kein Bildnis, sondern die Sehnsucht nach der Frau wird durch den Anblick eines verblutenden Raben auf einem Marmorstein geweckt.
  3. Bei Basile ist die Gesuchte keine Königstochter, sondern die Tochter eines Zauberers, was sich dramaturgisch als schlüssiger erweist. Mit dem Zauberer entfällt der für das böse Schicksal verantwortliche Gegenspieler, dessen Motivation zudem bei Basile plausibel dargestellt ist (Raub der Tochter).
  4. Bei Basile unternimmt der Helfer (Bruder) die Reise allein.
  5. Bei Basile sind es zwei Tauben. Der Rabe tritt als Leitmotiv (weißer Marmorstein – rotes Blut – schwarzer Rabe) in der Eingangsszene auf.
  6. Bei Basile ist das Pferd ein Geschenk, das der Bruder dem jungen König in der fremden Stadt kauft. Um den Zauber zu brechen, müssen dem Pferd die Beine durchgeschnitten werden.
  7. Das Hochzeitshemd tritt bei Basile nicht auf. Vielmehr bringt der Bruder außer dem Pferd auch noch einen Falken als Geschenk mit, der dem König die Augen auskratzen soll.
  8. Bei Basile droht das Ungemach in der Hochzeitsnacht in Gestalt eines Drachen, der das Paar verschlingen will. Der ist kein anderer als der Vater der Braut, der als Zauberer, wie an dieser Stelle deutlich wird, aus dramaturgischen Gründen eigentlich gebraucht wird.
  9. Bei Basile ist die Frau verzweifelt über den Mord an ihren Kindern und will sich aus dem Fenster stürzen.

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