Der singende Knochen

Der singende Knochen ist ein Märchen der Brüder Grimm (Kinder- und Hausmärchen, KHM 28). Das legendenartige Märchen (siehe Aarne-Thompson-Index) handelt von einem schauerlichen Verbrechen (aus Neid begangener Brudermord), das auf magische Weise ans Licht kommt und gesühnt wird. Hauptmotiv ist das vom Grab des Ermordeten ausgehende Zeichen, durch welches der Täter letzten Endes entlarvt wird (siehe z.B. auch Von dem Machandelboom). Motivverwandtschaft besteht außerdem mit den variantenreichen Märchen vom »Dummling«, in denen der jüngste von meist drei (hier allerdings zwei) Brüdern sich den anderen wider Erwarten überlegen zeigt.

Inhalt

In einem Land wütet seit längerer Zeit ein Wildschwein, sehr zum Verdruss der Bauern, deren Äcker es umpflügt; auch soll es schon mehrere Menschen getötet haben. Der König verspricht schließlich demjenigen seine Tochter zur Frau, der das Land von der Bestie befreit. Die beiden Söhne eines armen Mannes nehmen die Herausforderung an und begeben sich, um das Schwein nicht zu verfehlen, aus entgegengesetzten Richtungen in den Wald. Der jüngere, von gutem Herzen und schlichtem Gemüt, trifft nach einer Weile auf ein kleines Männlein, das ihm einen schwarzen Spieß mit Zauberkräften gibt. Tatsächlich kann der Junge damit das Schwein im Handumdrehen erlegen.

Das tote Schwein auf der Schulter, macht er sich auf den Weg zum König. Am Waldrand stößt er auf ein Wirtshaus, in dem, wie sich herausstellt, sein Bruder noch immer dabei ist, sich Mut für die Jagd auf die Bestie anzutrinken. Der Bruder hat ein böses Herz, verbirgt aber listig seinen Neid, um dem Jüngeren in Sicherheit zu wiegen. Dieser erzählt arglos von dem kleinen Männlein, dem Zauberspieß und wie er das Schwein erlegt hat. Dann gehen sie gemeinsam weiter. In der Dunkelheit erschlägt der Ältere den Jüngeren und vergräbt dessen Leiche unter einer Brücke.

Das kostbare Schwein präsentiert er dem König und bekommt wie versprochen die Königstochter zur Frau. Nach dem Verbleib seines Bruders gefragt, antwortet er, der sei vermutlich Opfer des Wildschweins geworden, was man ihm glaubt. Doch seine Untat kommt nach langen Jahren ans Licht, als ein Hirte im Sand unter der Brücke einen Knochen findet und sich eine Flöte daraus schneidet. Denn als er die Flöte ausprobiert, singt diese zu seinem Erstaunen folgendes Lied:

Ach, du liebes Hirtelein,
du bläst auf meinem Knöchelein.
mein Bruder hat mich erschlagen,
unter der Brücke begraben,
um das wilde Schwein,
für des Königs Töchterlein.

Der Hirte sagt sich, dass der singende Knochen etwas sei, was er unbedingt dem König zeigen muss. Der wiederum versteht sofort, was das Lied bedeutet. Unter der Brücke wird das Gerippe des Ermordeten gefunden. Das beweist, dass der König einen Mörder zu seinem Schwiegersohn gemacht hat. Der kann die böse Tat nicht leugnen und wird, in einen Sack genäht, im Bach ersäuft. Die sterblichen Überreste des jüngeren Bruders bekommen ein schönes Grab auf dem Kirchhof.

Varianten

Ludwig Bechsteins Neues deutsches Märchenbuch enthält unter dem Titel Das klagende Lied eine weitere Variante des Märchens. In diesem sind die Kontrahenten zwei Königskinder, Bruder und Schwester. Als der König stirbt, bestimmt die Königin dasjenige Kind zum Thronfolger, welches eine bestimmte Blume im Wald findet. Dies ist die Tochter, doch sie wird, noch bevor sie die Blume der Mutter vorlegen kann, von ihrem machtgierigen Bruder ermordet. Wie im Grimmschen Märchen Der singende Knochen findet eines Tages ein Hirte einen ihrer Knochen und macht sich daraus eine Flöte, die das finstre Geheimnis verrät. Die Flöte hört nicht auf zu spielen und anzuklagen, bis der Bruder, inzwischen längst König, tot zusammenbricht.

In Josef Haltrichs Sammlung (Deutsche Volksmärchen aus dem Sachsenlande in Siebenbürgen) trägt ein ähnliches Märchen den Titel Der Rohrstengel. Wie der Titel schon verrät, ist es hier kein Knochen (Teil des Toten selbst), welcher die Missetat ans Licht bringt, sondern eine Flöte aus Schilfrohr, das an der Stelle wuchs, wo der Ermordete verscharrt ist.

Ähnlich wie bei den Grimms besteht das Eingangsmotiv in der Aufgabe, eine gefährliche Wildsau (mitsamt ihrer zwölf Ferkel) einzufangen. Jedoch sind es hier drei Brüder (wie übrigens auch noch in der ersten Ausgabe der Grimmschen Sammlung), ganz dem Motiv vom »Dummling« folgend; außerdem soll die Sau nicht getötet, sondern nur eingefangen werden. Das Einfangen glückt dem Jüngsten mithilfe eines Seidenfadens, den er von einem Helfer mit magischen Fähigkeiten bekommen hat. Doch die Älteren verstehen nicht den Sinn des Seidenfadens, sodass die Sau sich und ihre Ferkel wieder befreien kann und keiner der beiden Mörder den erhofften Lohn (die Königstochter) für die böse Tat bekommt. Wie in den anderen Varianten die Knochenflöte singt hier die Rohrflöte das Klagelied vom Geschwistermord, wobei die Mörder genötigt sind, das Instrument selbst zu spielen, also gewissermaßen ihre Tat zu gestehen.

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