Der Königssohn der sich vor nichts fürchtet

Der Königssohn der sich vor nichts fürchtet ist ein Märchen der Brüder Grimm (Kinder- und Hausmärchen, ab 2. Auflage, KHM 121). In der 2. Auflage lautete der Titel (grammatisch korrekt) Der Königssohn, der sich vor nichts fürchtet; das Komma wurde später weggelassen.

Das Märchen besteht aus zwei Teilen, die auch unabhängig voneinander als vollständige Märchen gelten können. Im ersten Teil nimmt es der Märchenheld mit einem Riesen auf und gewinnt einen Löwen als treuen Diener. Der zweite Teil ist eine Variante des Märchens von der Schwanenjungfrau. Hier muss der Held drei qualvolle Nächte unter Teufeln verbringen, um eine schöne Jungfrau zu erlösen.

Der Königssohn der sich vor nichts fürchtet. Illustration Gordon Browne
Der Königssohn der sich vor nichts fürchtet. Illustration Gordon Browne (Fairy Tales from Grimm, Wells Gardner, Darton & Co., London 1894)

Erster Teil: Der Königssohn und der Riese

Ein Königssohn fürchtet sich vor nichts, außer vielleicht, sich am Hof seines Vaters zu langweilen. Also zieht er unerschrocken in die Welt hinaus, um Abenteuer zu erleben. Bald kommt er an das Haus eines Riesen, wo er sich auf der davor stehenden Bank niederlässt. Sein Blick fällt auf ein paar riesige Kegel, so groß wie Menschen, und dazu passende Kugeln. Er bekommt Lust, das Riesenspielzeug auszuprobieren und macht dabei ordentlich Lärm. Der Lärm lockt den Riesen ans Fenster, der nicht schlecht staunt, dass dieses kleine Menschlein mit seinem Spielzeug spielt. Auch zeigt das Würmchen keinerlei Furcht, als der Riese es anspricht.

Der Riese sagt sich, dass es mit diesem Menschen eine besondere Bewandtnis haben muss. Deshalb fragt er den Königssohn, ob er nicht für ihn einen Apfel vom Baum des Lebens holen könne. Genauer gesagt für seine Braut, die nach einem solchen Apfel verlangt. Leider weiß der Riese nicht, wo der Baum des Lebens zu finden ist. Er weiß nur, dass er in einem Garten steht, welcher von einer Vielzahl gefährlicher Tiere bewacht wird. Und selbst wenn einer den Baum findet und von den Tieren nicht zerrissen wird, wartet noch ein drittes, unüberwindliches Hindernis auf ihn. Sobald er die Hand nach einem Apfel ausstreckt, erscheint vor diesem ein Ring, durch den er den Arm stecken muss. Das aber wäre noch niemandem gelungen. Der Königssohn ist zuversichtlich: Selbstverständlich würde er den Baum finden. Auch mit den Tieren und dem Ring würde er schon fertig.

Tatsächlich kann der Königssohn einen Apfel vom Baum des Lebens pflücken. Zwar liegen vor dem Wundergarten, wie der Riese gesagt hat, viele schreckliche Tiere. Doch alle schlafen tief und fest, sodass er einfach über sie hinweg steigen kann. Als er durch den Ring nach einem Apfel greift, schließt der Ring sich fest um seinen Arm. Dabei spürt er, wie auf einmal eine gewaltige Kraft durch seine Adern strömt. Ein Löwe erwacht, als er den Garten verlässt. Doch das Tier hat nicht die Absicht, ihn anzugreifen, sondern betrachtet ihn von nun an als seinen Herrn.

Den Apfel bringt er dem Riesen, der darüber sehr erfreut ist. Doch als er ihn seiner Liebsten gibt, fragt diese ihn nach dem Ring. Sie könne ihm erst dann glauben, dass er den Apfel geholt hat, wenn er auch den Ring vorweisen kann. Der Riese verspricht, den Ring zu holen, aber freiwillig mag der Königssohn ihn nicht hergeben. Also beginnen sie zu raufen. Der Riese meint, mit dem Königssohn, auch wenn der für ein Menschenkind recht stark ist, leichtes Spiel zu haben. Doch dank der Zauberkraft des Ringes ist der Königssohn dem Riesen im Zweikampf gewachsen.

Nun versucht es der Riese mit einer List. Er gibt vor, vom Kampf erhitzt zu sein. Wie wäre es also, wenn sich beide im Fluss abkühlten? Der Königssohn ist einverstanden und legt arglos am Flussufer seine Kleider ab — und auch den Ring. Darauf hatte der Riese nur gewartet. Kaum ist der Königssohn im Wasser, ergreift er denn Ring und rennt davon. Allerdings hat er nicht mit dem Löwen gerechnet, der ihm dem Ring wieder abnimmt und ihn seinem Herrn bringt.

Nachdem es mit List nicht geklappt hat, versucht es der Riese mit Gewalt. Er versteckt sich hinter einem Baum und sticht dem Kontrahenten die Augen aus. Dann nähert er sich ihm arglos, als wolle er ihn führen. Natürlich hat er nichts Gutes im Sinn. Er führt den Blinden an einen Abgrund und redet ihm zu, er müsse nur noch ein paar Schritte weiter gehen… Doch auch dieser Anschlag misslingt, weil der treue Löwe seinen Herrn bei den Kleidern schnappt und ihn so vor dem Absturz bewahrt. Der Riese versucht es auf die gleiche Weise ein zweites und letztes Mal. Diesmal begnügt sich der Löwe nicht mit der Rettung seines Herrn, sondern stößt den Riesen in den Abgrund. Dann führt der Löwe den Königssohn an einen Bach, mit dessen Wasser er seine Augen benetzt. Das Wasser wirkt Wunder und macht ihn wieder sehend.

Zweiter Teil: Der Königssohn und die Teufel

Der Königssohn zieht mit seinem Löwen weiter und kommt an ein verwunschenes Schloss. Dort trifft er eine Jungfrau, die von schöner Gestalt, jedoch gänzlich schwarz ist. Sie bittet ihn, sie von dem bösen Zauber zu erlösen, der über sie geworfen sei. Die Aufgabe, die den Königssohn erwartet, ist wie gemacht für jemanden, der sich vor nichts fürchtet. Denn alles was er tun muss, ist, drei Nächte im großen Saal zu verbringen, ohne ein Anzeichen von Furcht zu zeigen und vor allem ohne einen Laut von sich zu geben.

Frohen Mutes setzt sich der Königssohn in den Saal und harrt der Dinge, die da kommen werden. Kurz vor Mitternacht füllt sich der Saal mit vielen kleinen Teufeln. Sie machen ein Feuer und beginnen zu spielen, zunächst ohne den Königssohn zu beachten. Doch sobald einer verliert, schimpft er, es sei noch jemand im Saal, und der sei daran schuld, dass er (der Teufel) verloren habe. Schließlich fallen sie alle über den Königssohn her, kneifen, schlagen und piesacken ihn, bis der Morgen graut. Der Königssohn hält das Versprechen, das er der schwarzen Jungfrau gegeben hat, und gibt keinen einzigen Laut von sich. Am Morgen kommt die Geheimnisvolle zu ihm und wäscht ihn mit dem Wasser des Lebens. Sofort fühlt er sich erfrischt und gestärkt. Außerdem sieht er, dass ihre Füße weiß geworden sind.

In der zweiten Nacht quälen die Teufel ihn noch ärger. Auch diesmal hält er durch und wird am Morgen von der Jungfrau erquickt, die nun schon bis zu den Fingerspitzen weiß ist. Nach der dritten Nacht schließlich, die die schlimmste ist und ihm dennoch keinen Furchtlaut entlockt, ist die Jungfrau schneeweiß geworden. Also erlöst. Noch am gleichen Tag heiratet der furchtlose Königssohn die schöne Jungfrau, die eine reiche Königstochter ist.

Motive, ähnliche Märchen

Der Märchentitel erinnert an das Märchen Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen, mit dem das vorliegende Märchen allerdings erst im zweiten Teil (Aufenthalt im Spukschloss) näher verwandt ist. Im ersten Teil ist lediglich das Eingangsmotiv (Spiel mit dem Riesenspielzeug) ein Hinweis auf diese Verwandtschaft (in dem anderen Märchen spielen riesige Katzen mit riesigen Karten).

Die Charakterisierung des im ersten Teil als Gegenspieler auftretenden Riesen ist etwas untypisch. Zumindest ist dieser Riese kein ausgemachter Dummkopf (vgl. dagegen Das tapfere Schneiderlein); er verfolgt eigene Ziele (Apfel und Ring für seine Liebste bekommen) und wendet dabei sogar Listen an. Dass diese letztendlich nicht erfolgreich sind, ist nicht der geistigen Überlegenheit seines Kontrahenten (dem Königssohn) geschuldet, sondern der Umsicht des treuen Löwen. Durch diese abweichende Charakterisierung geht dem Märchen die schwankartige Note vieler anderer Riesenmärchen ab. Motive wie der Apfel vom Baum des Lebens (siehe Die weiße Schlange, Der goldene Vogel), der treue Löwe (siehe Die zwölf Jäger, Die dankbaren Tiere) oder die magische Wiedererlangung des Augenlichts (siehe Die beiden Wanderer) kennzeichnen es klar als Zaubermärchen.

Der zweite Teil, der unabhängig vom ersten funktioniert, konzentriert sich auf das Motiv der Erlösung der Prinzessin im verwünschten Schloss. Die Prüfung besteht wie zum Beispiel in Der König vom goldenen Berg darin, drei qualvolle Nächte in den Fängen von Unholden zu überstehen. Ähnlich ist auch das norwegische Märchen Die drei Prinzessinnen von Witenland, in dem die Quälgeister Trolle sind.

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