Daumerlings Wanderschaft

Das Märchen Daumerlings Wanderschaft ist seit der ersten Auflage in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm enthalten (KHM 45); bis zur dritten Auflage lautete der Titel Des Schneiders Daumerling Wanderschaft. Es erzählt von den Abenteuern eines nur daumengroßen jugendlichen Helden, ähnlich wie das Grimm’sche Märchen Daumesdick oder das englische Märchen Tom Thumb. An das Grundmotiv des winzig kleinen Kindes knüpft auch Hans Christian Andersens Märchen Däumelinchen an, jedoch ist das kleine Mädchen eher ein romantisches, weltabgewandtes Geschöpf, denn eine abenteuerlustige Heldin. Einen völlig anderen Märchentyp verkörpert hingegen der kleine Däumling von Charles Perrault, der es mit Menschenfressern (ähnlich der Hexe in Hänsel und Gretel) aufnehmen muss.

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Daumerlings Wanderschaft. Cover einer Einzelausgabe, Hermann Stockmann (Scholz‘ Künstler-Bilderbücher No. 18, Josef Scholz Verlag, Mainz, 1922)

Inhalt

Ein Schneider hat einen klein geratenen Sohn, nicht größer als ein Daumen. An Tapferkeit mangelt es dem Winzling nicht, weshalb er seinem Vater eines Tages entschlossen mitteilt, er wolle nun in die Welt hinaus ziehen. Der Vater hält das für die richtige Einstellung und macht seinem Sohn aus einer Stopfnadel einen Degen von passender Größe.

Der Daumerling zieht los und findet bald Arbeit bei einem Meister. Doch das Essen, das die Frau des Meisters kocht, schmeckt ihm nicht, was er frei heraus und ziemlich frech bemängelt. So dauert es nicht lange, bis er hinausgeworfen wird. Auf der Suche nach einer anderen Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, lässt er sich mit einer Räuberbande ein. Die Räuber planen, die Schatzkammer des Königs auszurauben. Da kommt ihnen so ein kleiner Kerl, der durch ein Schlüsselloch passt, gerade recht.

Tatsächlich findet der Daumerling eine Ritze, durch die er in die Kammer eindringen und die dort gehorteten Goldmünzen nach draußen zu den Räubern werfen kann. Dass der König irgendwann kommt, um seinen Schatz zu inspizieren und dabei ein unerklärliches Schrumpfen feststellt, bringt den Daumerling nicht aus der Fassung. Denn klein wie er ist, kann er sich leicht unter ein paar Talern verstecken. Und den Wachen, die irgendwann wegen des Klackerns der Taler nachsehen kommen, wirft er freche Sprüche zu und amüsiert sich, wie sie tolpatschig versuchen, ihn zu fangen. Die Räuber sind voll des Lobes über den kleinen Mann und wollen ihn zu ihrem Anführer machen. Doch der Daumerling zieht lieber weiter und begnügt sich mit einem Anteil von nur einem Kreuzer an der Beute. Mehr kann er ohnehin nicht tragen.

Er geht bei mehreren Meistern in den Dienst, um schließlich festzustellen, dass ihm die Arbeit nicht schmeckt. Stattdessen verdingt er sich als Hausknecht in einem Gasthof. Das gefällt ihm besser, vor allem, weil er die Mägde ärgern kann. Unter anderem schwärzt er sie bei der Herrschaft an, indem er petzt, wenn sie heimlich etwas vom Essen für sich abgezweigt haben. Dementsprechend unbeliebt ist er bei den Mägden, von denen eine beherzt genug ist, den kleinen Stänker aus dem Weg zu räumen. Sie wickelt ihn zusammen mit etwas frisch gemähten Gras in ein Tuch und wirft das Ganze den Kühen vor. Die große Schwarze schluckt ihn runter (siehe dazu: Die Kuh im Märchen), ohne dass ihm dabei ein Haar gekrümmt wird.

Im Bauch der Kuh ist es nicht ungemütlich, aber auf die Dauer zu dunkel. Der Daumerling versucht, beim Melken durch einen flotten Spruch auf sich aufmerksam zu machen (»Stripp, strapp, stroll, ist der Eimer bald voll?«), wird aber nicht gehört. Schließlich wird die Kuh geschlachtet, was er unbeschadet übersteht. Er landet beim Wurstfleisch und versucht noch einmal vergeblich, sich durch Rufen bemerkbar zu machen. Immerhin schafft er es, so geschickt zwischen den Hackmessern hin- und her zu springen, dass er in einem Stück bleibt. Doch am Ende wird er Teil einer Blutwurst und mit dieser im Räucherofen aufgehängt. Erst im Winter, als die Wurst aufgeschnitten und einem Gast vorgesetzt wird, kann er sich aus dem Staub machen.

Nach diesem Erlebnis mag der Daumerling nicht mehr in der Gastwirtschaft bleiben. Er geht wieder auf Wanderschaft, die aber nicht lange dauert, weil er von einem Fuchs geschnappt wird. Er kann dem Fuchs abhandeln, dass er ihn wieder laufen lässt, wenn er ihn dafür zum Hühnerstall des Vaters führt. Tatsächlich ist der Vater so froh, seinen Sohn wiederzuhaben, dass er darüber die Hühner verschmerzen kann. Stolz präsentiert der Daumerling seinen auf der Wanderschaft erworbenen Kreuzer und führt von nun an ein häusliches Leben.

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