Die sieben Tauben

Die sieben Tauben (Li sette palommielle) ist ein Märchen aus dem Pentameron von Giambattista Basile (achte Erzählung des vierten Tages). Das Hauptmotiv ist das des Mädchens, das seine in Vögel verwandelten Brüder sucht (siehe Die sieben Raben). Ihre Suchwanderung zur Mutter der Zeit erinnert stark an Märchen wie Der Teufel mit den drei goldenen Haaren, in denen der Held unterwegs Helfern begegnet, denen er verspricht, Antworten von dem als allwissend eingeschätzten Wesens auf gewisse Fragen einzuholen.

Illustration von Warwick Goble zu dem Märchen Die sieben Tauben aus dem Pentameron von Giambattista Basile
Die sieben Tauben. Illustration Warwick Goble (Stories from the Pentamerone, Macmillan, 1911)

Inhalt

Eine Frau hat bereits sieben Söhne, die langsam flügge werden. Als sie erneut schwanger ist, sagen sie ihr, sie wünschten sich nun endlich eine Schwester; sollte die Mutter einen weiteren Sohn bekommen, würden sie in die weite Welt wandern. Während die Mutter in den Wehen liegt, warten sie auf einem nahegelegenen Hügel auf das vereinbarte Zeichen. Wenn es ein Junge ist, solle die Mutter ein Tintenfaß nebst Feder ins Fenster stellen; im Falle des ersehnten Mädchens dagegen einen Löffel und einen Spinnrocken. Tatsächlich bringt die Mutter ein Mädchen zur Welt, doch dummerweise bringt die Wehmutter in der Aufregung die Zeichen durcheinander.

Als die Söhne Tintenfass und Feder im Fenster sehen, ziehen sie ohne Abschied von dannen. Nach drei Jahren des Herumwanderns kommen sie ausgehungert und müde zur Hütte des Wilden Mannes (Orco, Menschenfresser) in einem ebenso wilden Wald. Als der Wilde Mann ihnen anbietet, sie alle sieben in seinen Dienst zu nehmen, zögern sie keinen Augenblick. Ihre Aufgabe besteht aus nichts anderem als sein Haus zu bewachen. Allerdings hat es mit dem Wilden Mann eine grausige Bewandnis. Er ist blind, seit er von seiner Frau im Schlaf geblendet wurde. Von tiefem Hass gegen alle Frauen erfüllt, frisst er jede auf, die auch nur in seine Nähe kommt.

Cianna, die unbekannte Schwester, wächst also ohne ihre Brüder auf. Als sie selbst alt genug zum Fortgehen ist, macht sie sich auf die Suche nach ihnen. Irgendwann kommt sie tatsächlich zum Haus des Wilden Mannes und gibt sich den Brüdern als ihre Schwester zu erkennen. Die schließen sie glücklich in die Arme, warnen sie aber zugleich vor dem Wilden Mann. Der wird sie mit Sicherheit fressen, wenn er sie findet. Um unentdeckt zu bleiben, müsse sie sich fortan in der Kammer der Brüder absolut still verhalten. Außerdem müsse sie von allem, was sie isst, die Hälfte der Katze abgeben. Cianna hält sich peinlich daran, doch eines Tages, als sie in Abwesenheit der Brüder einen Sack Erbsen ausliest, findet sie unter den Erbsen einen Haselnusskern, den sie unbedacht in den Mund steckt.

Damit nimmt das Schicksal seinen Lauf: die Katze springt auf den Herd und pinkelt vor Wut das Feuer aus; Cianna rennt aus dem Zimmer und bittet den Wilden Mann um Feuer. Als der die Frauenstimme hört, beginnt er, seine Messer zu wetzen. Cianna erkennt ihren Fehler und läuft erschrocken in ihr Zimmer, wo sie sich verbarrikadiert. Den Brüdern gelingt es, dem Wilden Mann weiszumachen, wie er sie fangen kann. Sie führen ihn in den Wald und schubsen ihn in einen tiefen Graben, den sie anschließend schnell mit Erde auffüllen.

Eine zeitlang leben die Geschwister glücklich im Haus des toten Mannes, entschlossen zur Mutter heimzukehren, sobald die Jahreszeit es zulässt. Die Brüder schärfen Cianna ein, kein Gras oder sonstiges Gewächs von dem Boden abzureißen, unter dem der Wilde Mann begraben liegt. Doch als eines Tages ein Pilger vorüber kommt, dem ein Eichhörnchen mit einem Tannenzapfen ein Loch in den Kopf schießt, bricht sie flugs einen Zweig Rosmarin ab – natürlich an der verbotenen Stelle. Nachdem sie die Wunde des Pilgers versorgt hat, beginnt sie, den Frühstückstisch zu decken. Da kommen sieben Tauben ins Zimmer geflogen, die sie eine Närrin nennen. Die Tauben sind ihre Brüder, die wegen ihres Tabubruchs nun ein gefährdetes Leben als Vögel fristen müssen. Die einzige Chance, ihre menschliche Gestalt wiederzubekommen, besteht darin, die Mutter der Zeit um Rat zu bitten.

Also macht sich Cianna auf die Suche nach der Mutter der Zeit. Nach langem Wandern kommt sie an eine Küste, wo sie einen Walfisch trifft. Der rät ihr, der Küstenlinie zu folgen und dann am nächsten Fluss immer stromaufwärts zu gehen; dann würde sie jemanden treffen, der ihr den weiteren Weg zur Mutter der Zeit erklärt. Cianna bedankt sich und verspricht dem Wal, die Mutter der Zeit nach etwas zu fragen, was den Wal schon lange bedrückt, nämlich wie er es verhindern kann, immer gegen Felsen zu stoßen und auf Sandbänken zu stranden.

Sie folgt dem vom Wal gewiesen Weg und trifft schließlich eine Maus, die ihr erklärt, dass sie nun weiter in Richtung der Berge gehen müsse, die am Horizont zu sehen sind. Am Fuß der Berge würde sie jemanden treffen, der ihr den weiteren Weg erklärt. Auch die Maus hat eine Frage an die Mutter der Zeit, nämlich, was die Mäuse tun können, um die Katzen nicht mehr fürchten zu müssen. Cianna verspricht auch der Maus, die Mutter der Zeit danach zu fragen, und zieht weiter.

Am Fuß der Berge rastet sie an einem Felsen, wo sie von einer Ameise angesprochen wird. Sie erfährt, dass sie, um die Mutter der Zeit zu finden, bergan gehen muss, bis sie in eine Hochebene kommt. Dort würde sie weitere Auskunft erhalten. Die Ameise möchte gern wissen, warum die Ameisen nur eine so kurze Zeit zu leben haben. Oben in der Hochebene angekommen, setzt sich Cianna unter einen Baum, der plötzlich einen Mund bekommt und zu ihr spricht. Er erklärt ihr den Weg zu einem Haus im Gebirge, von wo aus es nicht mehr weit zum Schloss der Mutter der Zeit ist. Der Baum möchte gern wissen, warum die Menschen ihn nicht mehr schätzen und seine Früchte nur noch als Futter für die Schweine gut sind.

Schließlich trifft Cianna in dem Haus den Pilger wieder. Er erklärt ihr genau, wie sich gegenüber der Mutter der Zeit verhalten muss, denn diese ist eine gefährliche Tyrannin, die sich aller Dinge auf der Erde bemächtigt hat und auch versuchen wird Cianna in ihre Gewalt zu bringen. Doch zum Glück kann die Alte nicht mehr gut sehen, und deshalb solle Cianna, sobald sie den Raum betreten hat, in dem die Alte sitzt, die Gewichte aus der Uhr nehmen und sie dadurch anhalten. Dann solle sie der Alten ihre Fragen stellen und darauf beharren, dass sie bei den Fügeln ihres Sohnes schwört.

Cianna hält sich an alles, was der Pilger ihr gesagt hat. Das Schloss ist verfallen, überall stehen Urnen mit der Asche ausgelöschter Städte. Der Sohn der Mutter der Zeit ist ein Greis mit langem Bart, der gerade das Schloss verlässt, als sie kommt; auf seinen Umhang sind unzählige Zettel genäht mit den Namen von Menschen, die er an diesem Tag holen wird. Schnell nimmt Cianna die Gewichte aus der Uhr und hält damit die Zeit an. Da dies die schlimmstmögliche Unordnung in die Welt bringt, bleibt der Mutter der Zeit nichts anderes übrig, als Cianna bei den Flügeln ihres Sohnes zu schwören, ihr bei der Beantwortung ihrer Fragen zu helfen.

Als der Sohn (die Zeit) zurückkommt versteckt sie das Mädchen hinter einem Vorhang und lockt aus ihm alle Antworten heraus: Der Baum würde von den Menschen nicht geachtet, weil unter seinen Wurzeln ein Schatz vergraben ist; die Mäuse werden vor der Katze erst Ruhe haben, wenn sie ihr eine Schelle ans Bein binden; die Ameisen werden hundert Jahre alt werden, wenn sie das Fliegen sein lassen; der Wal solle sich an den Delfin als Führer halten. Und schließlich müssten sich die Tauben nur auf die Säulen des Reichtums setzen, um ihre frühere Gestalt wiederzuerlangen.

Cianna macht sich auf den Rückweg, und als sie am Fuß des Berges angekommen ist, sieht sie zu ihrer großen Freude bereits ihre Brüder dort auf sie warten. Sie waren ihr als Tauben nachgeflogen und hatten sich auf den Hörnern eines toten Ochsen niedergelassen – Sinnbild für die orakelten Säulen des Reichtums, sodass der wichtigste Teil von Ciannas Mission sich bereits von selbst erledigt hat. Gemeinsam gehen die Geschwister zum Baum und befreien ihn von seiner sozialen Ächtung, indem sie den unter ihm verborgenen Schatz ausgraben. Der Schatz wird ihnen von Räubern abgenommen, die sie zudem an Bäume fesseln. Doch die Maus bedankt sich für die Antwort auf ihre Frage, indem sie die Stricke durchknabbert.

Cianna und ihre Brüder wandern weiter und treffen schließlich die Ameise, die sich ebenfalls für die Antwort auf ihre Frage erkenntlich erweist: sie weiß, wo das Diebsgesindel den ihnen geraubten Schatz vergraben hat. Die Geschwister bringen sich wieder in Besitz des selbigen, haben nun aber die bewaffneten Räuber an den Fersen. Mit Müh und Not erreichen sie den Walfisch, dem sie ebenfalls die Antwort von der Mutter der Zeit überbringen, und lassen sich von ihm zur Heimatküste zurückbringen, wo wo aus sie schließlich ihr Elternhaus erreichen.

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