Viola

Viola ist ein Märchen aus Giambattista Basiles Märchenzyklus Pentameron (drittes Märchen des zweiten Tages). Wobei man sich darüber streiten kann, ob es sich im strengen Sinne überhaupt um ein Märchen handelt, denn obwohl Basile märchentypische Figuren auftreten lässt (einen Orco, d.h. Unhold oder auch Menschenfresser, sowie drei Feen und zwei neidische Schwestern), greifen diese nicht mittels übernatürlicher Kräfte in die Handlung ein. Vielmehr erzählt Basile hier eine charmante kleine Geschichte über das Spiel »Was sich liebt, das neckt sich« zwischen einem jungen Mann und einem jungen Mädchen. Der besondere Reiz liegt dabei zum einen in der Kette von Sprüchen, mit denen sich die beiden gegenseitig belegen, und zum anderen in dem derben Witz, mit dem Basile die Märchenfiguren, insbesondere den Orco, in die Geschichte integriert, die dadurch in die Nähe des Schwanks rückt.

Illustration von Warwick Goble zum Märchen Viola aus dem Pentamerone von Giambattista Basile
»Guten Tag, guten Tag, Viola!«, Illustration Warwick Goble (Stories from the Pentamerone, MacMillan, 1911)

Inhalt

Ein Mann hat drei Töchter namens Rose, Nelke und Viola (ein anderer Name für Veilchen). Viola ist von so außerordentlicher Schönheit, dass Ciullone, der Sohn des Königs, in Liebe zu ihr entflammt ist. So oft wie möglich schleicht er an ihrem Häuschen vorbei, in der Hoffnung sie bei ihrer Arbeit zu sehen. Hat er das Glück, ihr von Angesicht gegenüber zu stehen, sagt er jedesmal etwas unbeholfen: »Guten Tag, guten Tag, Viola!«. Worauf diese antwortet: »Ei, guten Tag, Königssohn, klüger als du bin ich schon«. Die Anziehungskraft, die sie auf Ciullone ausübt, wird durch diesen kessen Spruch nicht gerade geringer. Die beiden Schwestern jedoch finden Violas Verhalten, zumal gegenüber dem Königssohn, unverschämt und hochmütig. Schließlich schwärzen sie Viola beim Vater an. Für eine Weile wird Viola ins Haus einer Tante geschickt, der sie bei der Arbeit helfen soll.

Ciullone brennt vor Sehnsucht, nachdem er Viola nun schon ein paar Tage nicht mehr vor ihrem Haus gesehen hat. Doch es dauert nicht lange, bis er ihr neues Zuhause herausgefunden hat. Also erscheint er eines Tages bei der Tante. Ohne Umschweife und mit Verweis auf seinen königlichen Stand fordert er von ihr, sie möge es irgendwie arrangieren, dass er mit Viola allein sein und ihr einen Kuss geben kann. Die Tante ziert sich gerade so viel, dass sie nicht als offensichtliche Kupplerin dasteht. Tatsächlich aber tut sie das ihre, um die Wünsche des jungen Herrn zu erfüllen.

Auf Vorschlag der Tante versteckt sich Ciullone in einem Stübchen im Erdgeschoss, während Tante und Viola oben nähen. Die Tante, so die Verabredung, würde Viola unter einem Vorwand nach unten schicken. Ciullone müsse die Gelegenheit nur beim Schopfe packen. Doch der stellt sich ungeschickt an. Als Viola für ihre Tante die Schneiderelle holen will, bemerkt sie sofort die Falle und verschwindet, bevor Ciullone sie zu fassen bekommt. Die Tante schickt sie ein zweites Mal, diesmal unter dem Vorwand, ein bestimmtes Garn aus dem Stübchen zu benötigen. Wieder ist Viola schneller und entwindet sich den Händen des Prinzen. Der schafft es beim dritten Mal endlich, sie an sich zu drücken, als sie für die Tante eine Schere holen soll. Zwar dauert die Attacke nur einen kurzen Moment, doch Viola ist darüber so wütend, dass sie ihrer Tante mit eben jener Schere ein Ohr abschneidet und sie als Kupplerin beschimpft.

Nach diesem Erlebnis kehrt Viola ins Haus ihres Vaters zurück. Dort geht das alte Spiel wieder los. Der Königssohn grüßt: »Guten Tag, guten Tag, Viola«! Und sie zurück: »Ei, guten Tag, Königssohn, klüger als du bin ich schon«. Die Schwestern ertragen es nicht länger und schmieden einen Plan, wie sie Viola loswerden können. Ein Fenster ihres Hauses zeigt zu einem Garten, der einem Wilden Mann (Orco) gehört. Die Schwestern lassen eine Rolle Zwirn in den Garten fallen und bitten Viola, da sie die Leichteste ist, an einem Seil hinabzusteigen, um sie wiederzuholen. Als sie unten ist, lassen die Schwestern das Seil fallen.

Der Wilde Mann ist in seinem Garten und hatte kurz vorher einen gewaltigen Furz fahren lassen. Irgendwo hat er aufgeschnappt, dass Stuten manchmal durch den bloßen Wind trächtig werden, und als er so plötzlich, unmittelbar nach seinem Furz, das hübsche Mädchen in seinem Garten erblickt, meint er dass er sie dadurch gezeugt habe. Er nimmt sie als seine Tochter auf und beauftragt drei Feen, sich um sie zu kümmern.

Der Königssohn hat Viola nicht vergessen und braucht nicht lange, um ihren neuen Aufenthaltsort herauszufinden. Er lässt den Wilden Mann kommen und bittet, sich einen Tag und eine Nacht in seinem Garten aufhalten zu dürfen. Das kann der Wilde Mann als treuer Untertan des Königs nicht abschlagen; er bietet ihm sogar ein Zimmer an. Nachts schleicht sich Ciullone ins Zimmer der schlafenden Viola und zwickt sie. Im Halbschlaf ruft sie: »Ach, lieber Vater, wie beißen mich die Flöhe!« (der Wilde Mann, der sie wie seinen Augapfel hütet, schläft im gleichen Zimmer), was sich im Laufe der Nacht ein paar Mal wiederholt.

Am nächsten Morgen erscheint Ciullone wie zufällig im Garten des Wilden Mannes und wirft Viola seinen üblichen Gruß zu: »Guten Tag, guten Tag, Viola!«, darauf sie ihr Übliches: »Ei, guten Tag, Königssohn, klüger als du bin ich schon.« Diesmal aber setzt Ciullone hinzu: »Ach, lieber Vater, wie beißen mich die Flöhe!« Viola sieht sich genarrt und blamiert. Um mit gleicher Münze zurückzuzahlen, lässt sie sich von ihrem Ziehvater ein Paar Pantoffeln mit Schellen besetzen (eine Idee von ihren Freundinnen, den Feen). Damit schleicht sie sich nachts ins Gemach des Prinzen. Ihr Stampfen mit den Schellenpantoffeln macht dem jungen Helden solche Angst, dass er nach seiner Mutter ruft: »Ach, liebe Mutter, liebe Mutter, hilf mir doch!« Am nächsten Tag findet das Ritual der Beiden eine Fortsetzung:

Er: »Guten Tag, guten Tag, Viola!«

Sie: »Ei, guten Tag, Königssohn, klüger als du bin ich schon.«

Er: »Ach, lieber Vater, wie beißen mich die Flöhe!«

Sie: »Ach, liebe Mutter, liebe Mutter, hilf mir doch!«

Der Königssohn beendet das kindische Spiel. Er gibt Viola Recht, dass sie klüger ist als er, und macht ihr einen Heiratsantrag, den sie annimmt. Der Wilde Mann, der sich irrtümlich für Violas Vater hielt, muss seinen Irrtum einsehen.

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