Die Schlange

Das Märchen Die Schlange ist die fünfte Erzählung des zweiten Tages in Giambattista Basiles Märchenzyklus Pentameron. Es gehört zum weit verbreiteten und variantenreichen Typus des Amor-und-Psyche-Märchens, kombiniert das Hauptmotiv (Ehe mit einem Tierpartner, Tabubruch, anschließende Suchwanderungen) jedoch auf teils eigenwillige Weise mit mehreren anderen, eigenständigen Motiven.

Illustration von Warwick Goble zu dem Märchen Die Schlange aus dem Pentameron von Giambattista Basile
Die Schlange. Illustration Warwick Goble (Stories from the Pentamerone, Macmillan, 1911)

Inhalt

Eine Bäuerin wünscht sich sehnlichst ein Kind, bekommt aber keins. Eines Tages bringt ihr Mann ein Bündel trockenes Holz aus dem Wald nach Hause, in dem sich eine kleine Schlange versteckt hat. Beim Anblick der Schlange beginnt die Frau wieder einmal über ihre Kinderlosigkeit zu klagen. Selbst die Schlangen bekommen Kinder, sagt sie, nicht ohne Vorwurf, zu ihrem Mann. Darauf meldet sich das Schlangenkind zu Wort. Da die Frau nun mal keine eigenen Kinder haben könne, würde es gern ihr Kind werden und sie lieben wie eine leibliche Mutter. Und so wird die Schlange (ein Junge) von dem Paar an Kindes statt angenommen.

Als der Schlangenjunge herangewachsen ist, verkündet er eines Tages, er wolle nun heiraten. Der Vater will nach einer hübschen jungen Schlange Ausschau halten, doch sein Adoptivsohn hat anderes im Sinn. Keine geringere als die Tochter des Königs will er zur Frau. Der Vater ist einfältig genug, für seinen Sohn beim König um die Hand von dessen Tochter anzuhalten. Der König beschließt, sich einen Spaß mit dem Bauerntölpel zu machen. Er lässt ihm ausrichten, der junge Schlangenmann könne seine Tochter haben, falls er sämtliche Früchte im königlichen Garten vergoldet.

Als der Schlangenjüngling dies hört, bittet er den Vater, sämtliche Fruchtkerne einzusammeln, deren er habhaft werden kann. Diese solle er dann im königlichen Garten auszustreuen. Der Vater sammelt in der ganzen Stadt Kerne von Pfirsichen, Aprikosen, Pflaumen, Kirschen, Apfelsinen und Weinbeeren; dann begibt er sich in den Garten und wirft sie auf die Erde. Kaum haben die Kerne die Erde berührt, beginnen Bäume zu sprießen, Blätter auszutreiben, Blüten sich zu öffnen und Früchte zu wachsen. Goldene Früchte.

Bei diesem Anblick beginnt der König vor Freude zu zittern, doch dann erinnert er sich an sein Versprechen. Natürlich will er seine Tochter nicht mit einem Schlangenmann verheiraten. Daher stellt er eine zweite unmögliche Bedingung: er solle die Mauer und den Erdboden des Gartens mit Edelsteinen pflastern. Auch diese Forderung lässt den Schlangenmann nicht verzagen; er bittet den Vater, alle Scherben zu sammeln, die er in der Stadt finden kann. Der Vater sammelt Scherben von Krügen, Blumenkübeln, Töpfen, Deckeln, Flaschen, Vasen, Lampen, irdenem Geschirr und was auch immer zerbrechen kann. All diese Scherben wirft er auf den Boden und gegen die Mauer des Gartens. Daraufhin beginnen diese vor lauter Rubinen, Smaragden und anderen Edelsteinen zu funkeln und glänzen.

Der König ist im wahrsten Sinne des Wortes geblendet. Doch als der Vater des Schlangenmanns ihn an sein Versprechen erinnert, nennt er das Wunder eine Bagatelle. Er stellt eine dritte Bedingung: sein ganzer Palast solle bis oben hin mit Gold gefüllt werden. Die Schlange sieht wohl, dass der König ein Nimmersatt ist, lässt sich aber auch von dieser Forderung nicht entmutigen. Der Vater soll einen Strauß Grünzeug pflücken und damit den Fuß des Palastes bestreichen. Also pflückt der gute Mann Blätter von Kohl und Rüben, Portulak und Kerbel und reibt damit den Sockel des Palastes kräftig ein. Der beginnt daraufhin in goldenem Glanz zu erstrahlen.

Der König sieht nun kein Schlupfloch mehr, um der Einlösung seines Versprechens zu entkommen. Er bittet seine Tochter herbei und eröffnet ihr so schonend wie möglich, dass sie nun leider eine Schlange heiraten müsse. Zu seinem Erstaunen fügt sich das Mädchen ohne ihm groß Vorwürfe zu machen. Die Schlange wird herbeigerufen, um die Braut zu holen. Alle flüchten sich beim Anblick des Ungeheuers, nur die Braut selbst behält die Fassung. Die Schlange umschlingt das schöne Mädchen und trägt es in eine andere Kammer. Dort entledigt sie sich der Schuppenhaut und steht als schöner junger Mann mit blonden Locken vor der Braut. Beide genießen die ersten Früchte der Liebe, während der König und die Königin ihre Tochter schon tot wähnen.

Schließlich spähen die Eltern durchs Schlüsselloch und können kaum glauben, was sie drinnen sehen. Ihre Tochter putzmunter und glücklich in den Armen eines schönen jungen Mannes, daneben auf dem Boden die abgestreifte Schlangenhaut. In bester Absicht stürmen sie ins Zimmer, ergreifen die Haut und werfen sie ins Feuer. Keine gute Idee, denn der Jüngling stößt einen Fluch in ihre Richtung aus und verwandelt sich in eine Taube. Panisch versucht die Taube, durch das Fenster zu entfliehen und zerbricht schließlich die Scheibe. Dabei trägt sie mehrere blutende Wunden davon. Die Braut ist verzweifelt, ihr unverhofftes Glück so schnell verronnen zu sehen. Noch in derselben Nacht packt sie ihre Juwelen und zieht in die Welt hinaus, entschlossen, so lange nach ihrem Liebsten zu suchen, bis sie ihn findet.

Ein Stück außerhalb der Stadt trifft sie einen Fuchs, der sich anbietet, ihr ein wenig Gesellschaft zu leisten. Sie nimmt das Angebot gern an, da sie sich außerhalb der Stadt überhaupt nicht auskennt. Sie schlafen unterm Blätterdach im Wald, und als am nächsten Morgen die Sonne aufgeht, ist die Königstochter ganz entzückt vom Gesang der Vögel. Der Fuchs meint, dass sie noch viel mehr staunen würde, wenn sie hören könnte, was die Vögel sagen. Denn er selbst ist in der Lage, die Sprache der Vögel zu verstehen. Die Königstochter bittet den Fuchs, ihr zu erzählen, wovon die Vögel singen – und bekommt Erstaunliches zu hören.

Die Rede ist vom Sohn des Königs von Langtal, der das Pech hatte, dass sich eine Hexe in ihn verliebte. Als er ihre unzüchtigen Wünsche nicht erfüllen wollte, verwandelte sie ihn in eine Schlange. Die Zeit seiner Verwandlung war fast vorüber, als er sich seinerseits in eine Königstochter verliebte. Er hatte es sogar geschafft, ihr Heiratsversprechen zu bekommen, doch als er mit ihr im Zimmer war und seine Schlangenhaut abgelegt hatte, waren die Eltern des Mädchens ins Zimmer gekommen und hatten die Haut ins Feuer geworfen. Beim Versuch in Gestalt einer Taube aus dem Zimmer zu fliehen, hatte er sich schwer am Kopf verletzt, sodass er nun, dem Tode näher als dem Leben, auf dem Krankenlager liegt.

Aufgeregt, ihre eigene Geschichte zu hören, fragt die Königstochter, ob es denn gar kein Mittel gäbe, den Prinzen zu retten. Das einzige Mittel, verrät der Fuchs, bestünde darin, die Wunden des Prinzen mit dem Blut der Vögel zu bestreichen, die ihnen dies alles erzählt haben. Sie fleht den Fuchs an, die Vögel für sie zu töten. Der ist einverstanden unter der Bedingung, den Lohn zu teilen. Als es wieder Nacht wird, steigt der Fuchs in die Nester der Vögel und tötet einen nach dem anderen. Dann zapfen sie den Vögel das Blut ab und sammeln es in einer Flasche.

Die Königstochter sieht sich schon fast am Ziel ihrer Wünsche, als plötzlich der Fuchs verkündet, dies alles würde ihr nichts nützen, weil sie auch etwas vom Blut eines Fuchses bräuchte. Mit diesen Worten will er sich aus dem Staub machen. Doch die Königstochter schmeichelt ihm, sagt ihm, wie sehr sie ihm verpflichtet ist und gibt zu bedenken, dass er sich allein deshalb nicht fürchten müsse, weil es hier im Wald noch so viele andere Füchse gibt. Warum also sollte sie ihm ein Leid antun?

Der Fuchs lässt sich überreden und kommt zurück, um weiter mit der Königstochter zu wandern. Doch kaum sind sie fünf Schritte gegangen, zieht sie ihm den Knüppel über den Kopf, den sie ganze Zeit hinter ihrem Rücken versteckt hielt. Schnell zapft sie dem toten Fuchs etwas Blut ab, mischt es unter das Vogelblut und begibt an den Hof des Königs von Langtal, wo ihr liebster auf dem Krankenbett liegt. Sie sei gekommen, um den Prinzen zu heilen, verkündet sie entschlossen; und da sie so entschlossen ist, wird ihr ein Versuch gestattet. Als Gegenleistung bekommt sie vom König das Versprechen, dass der Prinz sie heiraten wird, falls sie ihn tatsächlich ins Leben zurückholt.

Kaum hat sie die Wunden des Prinzen mit dem Blutgemisch bestrichen, fühlt dieser sich munter und kräftig, gerade so, als sei er nie krank gewesen. Doch in dem abgedunkelten Krankenzimmer erkennt er seine Liebste nicht, und als er von dem Eheversprechen durch seinen Vater hört, erhebt er Einspruch: er könne die Fremde, der er gleichwohl zu großem Dank verpflichtet ist, nicht heiraten, da sein Herz schon an eine andere vergeben ist. Hocherfreut gibt sich die Königstochter nun zu erkennen. Es wird ein großes Hochzeitsfest ausgerichtet, wo sich alle ganz besonders über den Tölpel von Fuchs lustig machen.

Ähnliche Märchen, Motivvergleich

Manches erscheint in diesem wie eine Collage wirkenden Märchen ungereimt. Brüche und ungewöhnliche Wendungen unterlaufen die Erwartungen des Lesers, etliche Fäden der Erzählung werden fallengelassen und später nicht wieder aufgenommen. So beginnt das Märchen mit dem Motiv des unerfüllten Kinderwunsches, hierin etwa dem ebenfalls zum Amor-und-Psyche-Kreis zählenden Grimm’schen Märchen Hans mein Igel ähnlich. In Basiles Märchen wird aber der zeugungsunfähige Mann mit Spott überzogen, was dem Märchen in diesem Teil fast eine schwankhafte Note verleiht.

Weiter geht es mit dem gängigen Motiv der drei scheinbar unlösbaren Aufgaben (siehe Prüfungen im Märchen), die dem Bewerber um die Hand der Königstochter gestellt werden. Nachdem dies geschafft ist, wird die Verwandtschaft mit dem Amor-und-Psyche-Märchen deutlich erkennbar. In unmittelbarere Folge des Tabubruchs (Verbrennen der Schlangenhaut durch die Eltern), nimmt das Märchen kurzzeitig eine Wendung, die an Aulnoys Märchen Der blaue Vogel erinnert.

Die junge Frau begibt sich nun wie Psyche auf die Suchwanderung nach dem verlorenen Gemahl, wobei sie (wiederum untypisch) eine merkwürdige Allianz mit einem Fuchs eingeht. Dieser erweist sich für die Frau als unentbehrlicher Helfer, ähnlich wie in dem Grimm’schen Märchen Der goldene Vogel, doch wer glaubt, das Märchen folge nun dem Motiv der hilfreichen Tiere, die für ihre Treue im höchstem Ansehen stehen (siehe etwa Der treue Johannes), sieht sich erneut auf die falsche Fährte gesetzt. Anstatt den Fuchs wie versprochen zu belohnen, trickst die Königstochter ihn aus und verspottet ihn auch noch.

Das könnte dich auch interessieren …